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AutorenbildMartina Schmid

Armbanduhren – vom Zeitmesser zum Sammelobjekt


Armbanduhren

Foto: @wix.com


Armbanduhren sind ein Paradoxon. Einerseits gehören sie – oder gehörten sie zumindest bis zur Erfindung des Smartphones – wie selbstverständlich zu unserem Leben und sind ein äußerst praktischer Gegenstand, der so tief in unseren Gewohnheiten verwurzelt ist, dass wir kaum einen Gedanken an sie verschwenden müssten. Andererseits wählen wir sie mit großem Bedacht aus, sollen sie doch unsere Persönlichkeit, unseren Geschmack, ja mithin unsere soziale Stellung und unsere Wünsche widerspiegeln. Immer mehr jedoch erfüllen sie einen zusätzlichen Zweck und werden von einer wachsenden Gemeinde als Sammelobjekt und Wertanlage betrachtet. Diese Entwicklung hat ihren Ursprung in einer weit zurückliegenden Vergangenheit, die uns heute noch in ihren Bann zieht.


Eine kleine Geschichte der Armbanduhr Längst sind wir nicht mehr darauf angewiesen, auf die Sonne oder einen Kirchturm zu schauen, um die Tageszeit zu erfahren. Bereits im Italien des 15. Jahrhunderts ermöglichte es die Erfindung eines besonderen Federantriebs, auf die bisher verwendeten schweren Gewichte zu verzichten, die das Mitführen einer Uhr schlicht unmöglich gemacht hätten. Nach seiner Perfektionierung durch den nürnbergischen Schlosser und Uhrmacher Peter Henlein im 16. Jahrhundert, die die Herstellung von taschengerechten Dosenuhren einleitete, war der Weg für immer kleinere Formate bereitet, und die Taschenuhren, wie wir sie noch kennen, wichen selbst nach und nach der Armbanduhr – ein Gewinn an Effizienz, der auch mit zunehmender Präzision einherging und schließlich in batteriebetriebene Uhren mündete. Heute hat die Armbanduhr mit ihren digitalen Varianten und zusätzlichen Funktionen der Alltagssteuerung, Kommunikation und gesundheitlichen Selbstoptimierung sogar die nächste Stufe in Richtung Zukunft erreicht.


Die Begegnung von Handwerk, Kunst und Kunde Die Faszination, die Uhren seit jeher auf Menschen ausübten, geht weit über ihren tatsächlichen Nutzen hinaus, ist komplex und beruht auf einer ungewöhnlichen Kombination von Faktoren. Zu nennen wären hier die Bewunderung für die meisterhafte und in dieser Hinsicht für den Laien rätselhaft erscheinende Miniaturisierung der notwendigen mechanischen Bestandteile, die Ehrfurcht für das Arkanum des aufgewendeten Wissens, die Schönheit und Perfektion der Uhrwerke selbst und die Hingabe, mit der die Uhrmacher im Laufe der Jahrhunderte sich immer mehr bemühten, Glas, Gehäuse, Ziffernblatt und Krone kunstvoll und originell zu gestalten.



Armabnduhr von innen mit Rädchen

Foto @canva.com



Warum eine Armbanduhr weit mehr als ein Zeitmesser ist Tatsächlich verbinden wir mit Armbanduhren sehr viel mehr als nur das Ablesen der Uhrzeit. Wir tragen sie täglich, und so verschmelzen sie – auch in den Augen anderer – mit unserem Selbst. Vielleicht deshalb gehört eine Armbanduhr aus einem Nachlass zu den bilderreichsten Erinnerungsstücken, die wir mir einem Menschen verbinden, genauer gesagt: die ihn mit uns verbinden. Einem Kind oder Jugendlichen zur Kommunion, zur Bar Mitzwa (oder Bat Mitzwa) die erste teurere Uhr zu schenken, auf diese Weise die Volljährigkeit zu feiern oder eine bestandene Prüfung zu honorieren, zeigt, wie viel emotionale Bedeutung wir diesem an sich banalen Gegenstand beimessen. Und auch dann, wenn wir längst in der Lage sind, etwas nach unserem eigenen Geschmack auszusuchen, bleibt dieses erste Exemplar als Zeugnis dessen, was einmal in uns gesehen wurde, oft in einer Schublade oder Schatulle erhalten und wird sorgfältig und liebevoll aufbewahrt, als Band zu unserer Vergangenheit und denjenigen, die wir lieben. Armbanduhren sind auch Statement – und hiermit hört auch die geschlechtliche Gleichberechtigung auf. Während Frauen sie als Accessoire, als Stilmittel und Unterstreichung ihrer Garderobe, als Ausdruck ihrer Persönlichkeit einsetzen, haben sie für Männer eine konkretere Funktion als Statussymbol und Vermittlung einer gesellschaftlichen und beruflichen Wunschstellung.


Uhrensammlungen im Spiegelbild der Geschlechter Es mag in der heutigen Zeit unschicklich und unbelehrbar gestrig erscheinen, die angestrebte Einebnung und Verleugnung von Geschlechtern zu verweigern, doch in Bezug auf die Zusammensetzung von Uhrensammlungen lässt sich dies kaum vermeiden. Zwar sind Sammler bei Frauen und Männern gleichermaßen vertreten, doch ist ihr jeweiliger Ansatz recht unterschiedlich. Frauen tragen tatsächlich dem Anlass und dem Outfit entsprechend in der Regel immer wieder der Reihe nach alle Uhren, die sie besitzen, und kaufen sie mitunter mit einer gewissen Verspieltheit nach hauptsächlich ästhetischen Gesichtspunkten. Männer ihrerseits betrachten ihre Sammlung eher als Wertanlage oder Hobby und lassen sich beim Erwerb von anderen Maßstäben leiten: Das Interesse für mechanische Aspekte, Neuerungen der Uhrwerktechnik, Know-how, profunde Kenntnisse der Funktionsweise oder das Eintauchen in die Geschichte der jeweiligen Marken spielen neben der finanziellen Perspektive der gezielten Investition, ja Spekulation, eine weitaus größere Rolle. Im Allgemeinen sind ernsthafte Sammler, die nicht nur aus Modegründen mehrere Uhren besitzen, sondern aus anderen Motiven nach besonderen Stücken Ausschau halten, mehrheitlich männlich.

Unendlich viele Sammelgebiete … und viel zu lesen Beginnt eine Sammlung zuweilen eher zufällig, führt ihr Aufbau schon aufgrund der Fülle des Marktangebotes früher oder später zu einer Spezialisierung auf ein Teilthema. Manche Sammler beschränken sich auf Uhren aus einem bestimmten Zeitraum, auf Produkte einer einzelnen Marke, auf konkrete Mechanismen oder Verarbeitungsmerkmale, oder auf Uhren von Prominenten. Neben Bildbänden, Veröffentlichungen und Katalogen der jeweiligen Hersteller, die der hohen Nachfrage entgegenkommen, indem sie ihre Archive durch Publikationen zugänglich machen, Fachliteratur, Themenzeitschriften, Magazine und Websites, Fernsehsendungen, Messen und Gleichgesinnten-Foren steht ihnen heutzutage eine umfangreiche journalistische Landschaft zur Verfügung, in der sie sich über Neuheiten, Trends, Auktionen, Wertentwicklungen kundig machen können. Beinahe alle allgemeinen Nachrichtenmagazine in aller Welt bieten eine Sammel- und Luxusuhren-Sparte an. Dies zeigt: Uhrensammlungen sind im Lifestyle angekommen.


Armbanduhr auf Sammlermagazin

Foto Tran Phuc via @unsplash.com



Wie die geographische Herkunft einer Uhr ihr Image und ihren Wert bestimmt

Ästhetischer Aspekt, technische Perfektion, Wertsteigerungspotenzial, Geschmack und Interesse sind nicht die einzigen Kriterien, die über das Prestige einer Marke entscheiden. Einige Länder haben sich im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Uhrmacherreputationen erarbeitet, die zum einen als Marketingargument von erheblicher Bedeutung und durchaus mit einer AOC-Bezeichnung in Wein und Kochkunst zu vergleichen sind, des Weiteren auch als Qualitätsversprechen Verpflichtungen schaffen, auf die sich Sammler und Anleger verlassen möchten. Nach wie vor bleibt die Schweiz im Bereich der analogen Uhren das Maß aller Dinge. Es war bereits so, als Hans Wilsdorf 1905 in London die Uhrenmanufaktur gründete, die mit ihrem goldenen Krönchen auf grünem Grund Geschichte schreiben sollte. Für Sammler sind die klangvollen und geschichtsträchtigen Namen eine Reise in die Welt des Luxus, der Wertsicherung und des Ansehens. Als Geheimtipp gelten aber auch andere Länder, in denen Uhrmacherei ebenfalls eine lange Tradition hat. Hierzu zählen Frankreich, Japan, Russland und Italien.


Die Entwicklung von der analogen, mechanischen Uhr zum digitalen Handgelenkbegleiter hat nicht nur unsere Gewohnheiten verändert. Sie bedeutete für die traditionelle Uhrmacherei nicht das prognostizierte Aus, sondern wurde im Gegenteil zum absoluten Glücksfall: Eine Uhr im altmodischen Sinn ist heute ein Luxus- und Sammelobjekt, etwas, was man sich bewusst aussucht und gönnt– ob aus Liebe zum Handwerk, aus Nostalgie, als Kunstgegenstand oder als Investition. Erst ihre Entbehrlichkeit und die Möglichkeit, zur Zeitmessung und Strukturierung des Alltags Alternativen zu wählen, machte sie zu etwas Besonderem, das Kenner anspricht und als Kostbarkeit geschätzt wird. So gewinnen handwerkliches Können und die unnachahmlich damit verbundene Qualität– wie übrigens und interessanterweise in der Übersetzungsbranche auch – erst durch die Abgrenzung zur Massenware an Bedeutung und Wert.

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