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Erfrischende Anisgetränke

Der Süden im Glas.



blauer Tisch, im Hintergrund das Meer,  mit Ouzo und Gläsernnd



Anis, ein wahrhaft umstrittener Geschmack: Die einen lieben ihn, andere rümpfen skeptisch die Nase und wieder andere verabscheuen ihn.

Für Viele aber gehört der unverwechselbare, lakritzähnliche Geschmack zum Urlaub wie der Sonnenschirm und lässt seine Liebhaber ins Schwärmen geraten.

Lange Zeit hatten Anisgetränke jedoch keinen besonders guten Ruf, sie wurden als minderwertig und aufgrund ihres hohen Alkoholgehalts weniger zum Genuss als für den schnellen Rausch geeignet angesehen. Doch längst haben sie dieses Stigma abgelegt und die Nische der anspruchslosen und eher volkstümlichen „Schnäpse“ verlassen und erfuhren bei Spirituosen-Fans aber auch bei Spitzenköchen eine positive Neubewertung. Zudem ist Anis ein schönes Beispiel dafür, wie ein Produkt auf unterschiedlichste Weise in den verschiedenen Kulturen interpretiert werden kann.


Am Anfang war Anis

Die Zutat Anis verleiht den Getränken ihren unverwechselbaren Geschmack. Obwohl auch weitere Kräuter und Gewürze den Spirituosen zugesetzt werden, ist es vor allem der Anis, der den charakteristischen Geschmack ausmacht, daher zu Recht der Name Anisgetränke.



Anissamen

Foto: @unsplash.com / Rajesh Rajput



Eines der ältesten Gewürze der Welt


Anis als Heil- und Teepflanze oder Backgewürz – sei es als Echter Anis (Pimpinella anisum) oder als Sternanis (Illicum verdum) – ist in vielen Kulturen bereits seit der Antike bekannt.

Der Echte Anis ist eine krautige Pflanze, verwandt mit Petersilie und Karotten und wird hauptsächlich wegen seiner Samen angebaut. Er ist sehr robust und wächst in jeder Region mit gemäßigtem bis tropischem Klima, von Spanien über Mitteleuropa bis Vorderasien. Ganz anders sein Namensvetter Sternanis, hierbei handelt es sich um die Frucht des immergrünen Magnolienbaums. Die kleinen Früchte sehen aus wie Mini-Sternchen mit acht bis zwölf Zacken, in jedem Zacken befindet sich ein glänzender brauner runder Samen. Ihr niedliches Aussehen macht sie auch zu einem beliebten Dekoartikel in der Weihnachtszeit.

Obwohl botanisch nicht miteinander verwandt, ist der Geschmack von Echtem Anis und Sternanis sehr ähnlich, die Verwendung aufgrund ihrer pflanzlichen Eigenschaften aber sehr unterschiedlich:

Die Samen des Echten Anis sind weit verbreitet in der europäischen und mediterranen Küche, als Gewürz in Backwaren wie Brot und Weihnachtsgebäck. Und sie verleihen Spirituosen wie Anisette, Ouzo, Pastis, Ricard etc. ihren charakteristischen Geschmack.

Sternanis hingegen wird oft in der asiatischen und orientalischen Küche eingesetzt. Er ist wichtiger Bestandteil von vielen Gewürzmischungen wie zum Beispiel dem Fünf-Gewürz-Pulver, dem Pho-Gewürz in Vietnam, Garam Marsala in Indien bis hin zu unseren Glühweingewürzen.

Die Anis-Pflanze wächst fast überall auf der Welt und ist einfach zu kultivieren. Dennoch haben zum Beispiel im Norden Europas Anis-Spirituosen keine Tradition, obwohl das dem Anisgeschmack sehr ähnliche Lakritz-Aroma zum Beispiel in Dänemark sehr beliebt sind.

Ganz anders in den romanischen Ländern und anderen Ländern der südlichen Hemisphäre.



Italien - Spanien - Frankreich


Sambuca – das Dolce Vita

Als das süßeste aller Anisgetränke darf Sambuca gelten, der ungeachtet seiner durchsichtigen Farbe tatsächlich ein Likör ist, sogar als Creme-Likör zu klassifizieren ist. Nach Mazeration und Destillation werden große Mengen Zucker hinzugefügt, was ihn geschmacklich sehr süß macht, sodass Sambuca trotz eines Alkoholgehalts von durchschnittlich 40 Vol.% oft als Damengetränk angesehen wird. Sambuca hatte bis in die 2000er Jahre hinein ein eher verstaubtes und altmodisches Image. Und wie könnte es in Italien anders sein – Tradition und Legenden sind eng mit der Geschichte des Sambuca verflochten: Die berühmte Serviervariante „Sambuca con la mosca“, in der drei Kaffeebohnen oben auf das Getränk gelegt werden, bevor es flambiert wird, soll auf die weniger appetitlichen Erlebnisse einer alten Sambuca-Brennerin zurückzuführen sein, der es nicht gelang, ihrer Familie auch nur einmal in Ruhe ein Glas Sambuca einzugießen, ohne dass die Fliegen von der Süße des Getränks angezogen wurden. Immer wenn sie es versuchte, schwirrten die Fliegen auf das Glas zu. Um sie zu vertreiben hat sie den Sambuca einfach flambiert! In Erinnerung an diese Legende wird er heute traditionell mit drei gerösteten Kaffeebohnen serviert. Sambuca kann sowohl bei Raumtemperatur als auch eisgekühlt, meist pur oder seltener als Longdrink getrunken werden und verstärkt durch seine bestechende Süße Assoziationen mit dem typisch italienischen Lebensgefühl, dem Dolce Vita, der Lebensart auf italienisch.



Sambuca zwei Gläser mit Karaffe


Anisados – die spanische Gelassenheit

Es gibt in Spanien nicht das EINE Anis-Getränk, und dies gilt in mehrfacher Hinsicht. Geschmackliche Vielfalt spielt hier eine große Rolle und verschiedenste Produkte – von süß bis sehr trocken, von Likör bis Schnaps – werden nebeneinander angeboten, ohne dass sie in Konkurrenz zueinander stehen. Auch gibt es keine Differenzen darüber, wo und von wem zuerst in Spanien Anis-Spirituosen destilliert wurden. Zwar wurde Chinchón 1994 als Herkunfts-bezeichnung offiziell geschützt, aber neben dieser Spezialität wären noch weitere zu nennen, die auf eine ebenfalls sehr lange Tradition und althergebrachte handwerkliche Methoden zurückblicken. Unter ihnen findet sich insbesondere die berühmte Marke „Anis del Mono“ (Affe), deren Flasche sogar in die spanische Kunstgeschichte Einzug gehalten hat. Während Chinchón stolz darauf ist, wie im 18. Jahrhundert in der gleichnamigen Stadt ausschließlich grünen Anis und Anissamen mit reinem Alkohol und gegebenenfalls Zucker in Tongefäßen zu veredeln, beruht die Reputation des „Anis vom Affen“ aus Katalonien auf dem Herstellungsverfahren selbst, das in Kupferblasen erfolgt. Auch über die „richtige“ Art, Anisados zu genießen, herrscht Gelassenheit: Sie werden pur, als Longdrink, zum Aperitif, als Verdauungsschnaps oder Partygetränk konsumiert.




Eine Flasche Ricard, eine Wasserkaraffe und ein Glas Ricrad auf dem Tisch

Pastis – trocken und sonnig wie die Provence selbst Selbstverständlich kann überall in Frankreich ein Glas Pastis bestellt werden. Ob dieses Getränk nördlich der Provence überhaupt noch stilecht genossen werden kann, ist eine andere Frage, über die sich die Geister nun wahrlich scheiden, und dies ist nur einer der vielen Streitpunkte rund um die weltberühmte Köstlichkeit. Zum Beispiel wäre es ein Irrtum, zu glauben, dass Pastis das einzige Anisgetränk Frankreichs sei. Pastis ist eine Form der französischen Anisgetränke und man könnte sogar sagen, dass er – auch wenn selbstverständlich Frauen ihn ebenfalls genießen dürfen – deren trockenere und männliche Variante ist. Mit eiskaltem Wasser verdünnt wird er zum Apéritif vor dem Mittagessen oder dem Abendessen getrunken und begleitet am späten Nachmittag manche Boules-Spiele unter dem Schatten mächtiger Platanen oder Pinien. Damen wiederum ziehen oft „Anisette“ vor, die likörartiger und süßer ist und weniger Alkohol enthält. Hier handelt es sich jedoch um eine semantische Ungenauigkeit, denn „Anisette“ war ursprünglich zugleich der Oberbegriff für alle Anis-Spirituosen. Um diesem kleinen Sprachschlenker aus dem Weg zu gehen, werden für Anisettes im täglichen Sprachgebrauch meistens stellvertretend ihre Markennamen verwendet, die zum Sinnbild des jeweiligen Getränks geworden sind.

Neben dieser Unterscheidung ist Pastis nicht gleich Pastis: Die großen Industriemarken Pernod, Ricard und Pastis 51 haben jeweils ihre (unversöhnlichen) Fans. Andere Genießer wiederum bevorzugen die Produkte traditioneller, oft winziger Manufakturen, die allerdings für den ungeschulten Gaumen mitunter gewöhnungsbedürftig sein können, da sie einen wesentlich komplexeren und schwereren, würzigeren, eigenwilligeren und im Vergleich zu Massenprodukten somit recht „fremden“ Geschmack haben. Puristen beklagen in letzter Zeit, dass Pastis industriell oft nicht mehr mit Anis-Kraut, sondern mit Sternanis hergestellt wird, was dem Geschmack viel von seiner trockenen Frische nehme. Pastis ist nicht nur für den ausländischen Touristen das Symbol eines vollendeten Urlaubs unter dem strahlenden blauen Himmel der südöstlichsten Ecke Frankreichs: Auch für Franzosen ist der Duft von Pastis einer der entspannendsten, den es geben kann.



Vorderasien


Raki – die fruchtig-aromatische Seele der Türkei Süßes Obst und Trockenfrüchte gehören seit jeher zur Esskultur der Türkei und sind auch vom Straßenbild und den Märkten nicht wegzudenken. So ist Anis nicht die Hauptzutat des Rakis, dessen Basis aus Weintrauben und Rosinen, Feigen und Maulbeeren besteht, und doch stellt er die geschmacksintensivste Übersetzung der alkoholischen Anis-Getränke dar. Wie Pastis auch wird er eiskalt serviert und unter Zugabe von Wasser milchig weiß – ein Phänomen, das als „Louche-Effekt“ bezeichnet wird. Allerdings gilt er nicht nur als Aperitif, sondern begleitet das ganze Essen. Raki, das [raˈkɯ] auszusprechen ist und auf der zweiten Silbe betont wird, ist zudem von eminenter gesellschaftlicher Bedeutung. Während in den romanischen Ländern Anis-Spirituosen durchaus zu Hause auf der Terrasse mit einem guten Buch in der Hand genossen werden können, ist der türkische Raki gesellschaftlich relevant: Er ist Teil der männlichen Geselligkeit, und so ist es ein Zeichen für Einsamkeit und soziales Versagen, wenn man Raki allein trinkt. Raki hat im Übrigen eine lange Tradition: Er wurde bereits im 15. Jahrhundert gebrannt und gehört somit zu den ältesten Anis-Spirituosen der Welt. Der hohe Alkoholgehalt von oft über 50 Vol.% verleiht ihm eine weniger grüne, dunklere Note, die sehr an Lakritz erinnert.


Arak – festlicher Libanon Wie bei Raki bildet ein Weinreben-Brand die Grundlage von Arak. Allerdings werden hier ausschließlich frische und keine Trockenfrüchte verwendet, so dass Arak weniger rau, weniger pfefferig und deutlich vielseitiger, samtiger und krautiger schmeckt. Verarbeitet werden weiße Trauben und zwei einheimische Sorten, Merwah und Obeidi, die vergoren und dreimal destilliert werden. Erst während der zweiten Destillation wird Anis hinzugefügt. Das Ergebnis ist ein Getränk mit bis zu 54 Vol.% Alkohol, das als Begleiter von kleinen Snacks und Meze-Platten gereicht wird – mit eiskaltem Wasser verdünnt und mit einem Zweig Rosmarin oder einigen Blättern Basilikum. Es kann aber auch mit Tee vermischt werden. Im Libanon ist Arak ein Produkt, das Teil der Esskultur ist, mit dem erheblicher Nationalstolz verbunden ist und das deshalb zu jedem Festessen gehört. Als Fremdem ein Glas Arak angeboten zu bekommen ist eine Ehre, die den Wert der libanesischen Gastfreundschaft unterstreichen soll.


Südosteuropa


Ouzo – Abbild der griechischen Offenheit Während Anis-Spirituosen aus Vorderasien in Mitteleuropa eher Kenner interessieren, ist Ouzo hier weitverbreitet und äußerst beliebt. Das ursprünglich aus Weinreben, heute jedoch immer häufiger aus Zuckerrohr gebrannte Anis-Getränk verdankt dies in erster Linie dem Stolz, den Griechen ihrer traditionellen Küche entgegenbringen, und der Art, wie sie diese im Zuge ihrer Einwanderungen in den mittleren Jahren des 20. Jahrhunderts vermittelten. Während einige Immigranten anderer Herkunft ihre Esskulturen eher unter sich auslebten oder sich mit der Eröffnung einfachster Lokale begnügten, legten Griechen Wert darauf, auch oder gerade fern der Heimat ein hochwertiges kulinarisches Angebot aufzubauen. So eröffneten sie immer häufiger Restaurants, in denen die Landesspezialitäten auf gehoberem Niveau und weit vom Imbissbuden-Image entfernt offensiv und geschickt in Szene gesetzt wurden. Griechenland als gastfreundliches Urlaubsziel tat sein Übriges, um Ouzo auch etwa im deutschen Sprachraum zu einem Klassiker zu machen. In Griechenland selbst wird Ouzo zu den verschiedensten Anlässen getrunken – hier ist anzumerken, dass er wesentlich weniger Alkohol enthält als andere Varianten der Anis-Spirituosen. Wird er in Deutschland oft pur gereicht, um dem Landesgeschmack und der Schnapskultur besser zu entsprechen, geht die Gewohnheit an Orten seiner Herstellung eher zum Longdrink, oft in eisgekühlten Gläsern oder mit vielen Eiswürfeln. So oder so steht Ouzo im Zentrum der griechischen Begrüßungs- und Freundschaftskultur, denn es ist Brauch, ihn langsam zu trinken und sich dabei ausgiebig zu unterhalten.



zwei Gläser Ouzo auf einem Tisch mit einer Schale grüner Oliven


Mastika – Bulgariens vermittelndes Getränk Man nehme die Zutaten des Rakis, die Destillationstechniken des Arak und füge Sternanis-Samen hinzu. So entsteht Mastika, neben Menta und Rakija eines der drei Nationalgetränke Bulgariens. In der trockneren Variante zeichnet sich Mastika durch seinen erfrischenden Charakter aus, der in der süßeren Version an samtigen Kräuterhonig erinnert. Schreibt das bulgarische Gesetz vor, dass ein Mindestalkoholgehalt von 47 Vol.% erforderlich ist, damit ein Anis-Obstbrand die Bezeichnung Mastika tragen darf, so gibt ihm die Wirklichkeit nur bedingt Recht: Tatsächlich sind die meisten Erzeugnisse insbesondere kleinerer Manufakturen mit 30 oder 32 Vol.% wesentlich leichter, was ihre Beliebtheit bei Connaisseurs nur steigert. So ist Mastika wie das Land selbst an der Schnittstelle und in der goldenen Mitte zwischen Regionen und Kulturen.



Die einzelnen Getränke, die aus der Destillation von Anis-Pflanzen und -Samen entstehen, verströmen zwar alle jene Grundnote, die sie unmissverständlich als Anisgetränk ausweist und die der Genießer mit Sonne und Süden assoziiert, doch kann auch diese aufgrund unterschiedlicher Methoden und Zusätze im Detail stark variieren. Auch die Trinkgewohnheiten und die Verwendung dieser Erzeugnisse tragen immer deutlich die Handschrift der jeweiligen Mentalität und Gesellschaftskultur – wie gelungene Übersetzungen es eben tun.


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