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AutorenbildMartina Schmid

Coffee to go


Barista pouring coffee

Foto: @wix.com / Barista pouring coffee



Sie waren einfach „cool” und unendlich amerikanisch. Als Requisit aus Fernsehserien hatten die kaffeegefüllten Pappbecher zum Mitnehmen einst den Weg nach Europa und in unsere Bilderwelt gefunden – noch lange, bevor sich die ersten Franchiser in unserer Nähe niederließen.


Diese Becher waren nicht nur das Symbol einer Lebensart, sondern auch einer dynamischen, selbstbewussten und hyperaktiven Generation. Sie vermittelten die Illusion jener unendlichen Möglichkeiten, von der wir so gerne träumen. So hatten sie es leicht, sich auch bei uns durchzusetzen. Heutzutage gehören sie so selbstverständlich zum Stadtbild wie das Mobiltelefon.

Die Coffee to go-Becher sind ein faszinierendes Paradoxon. Die Qualität des Getränks, das sie enthalten, spielt für ihre Beliebtheit kaum eine Rolle, und doch stellen sie einen Quantensprung der Kaffeekultur dar, die sich mit ihnen für immer von der Spießigkeit des Damenkränzchens und der biederen Bodenständigkeit der Bürotasse befreit. Sie sind Genuss, Kreativität, Statement, Zurschaustellung einer kompromisslos modernen, aktiven und erfolgsorientierten Jugendlichkeit. Aus dem Requisit ist ein Accessoire geworden.

Als solches sind sie Pose und Mode, aber ihre Bedeutung ist dabei vielschichtiger, als zunächst scheinen mag. Natürlich sind sie demonstrative Positionierung, Image und Absichtserklärung, aber auch Zuflucht – wie der Lieblingsschal, in den man sich einkuschelt, die Lieblingshandtasche oder die Glücksohrringe. Sie sind die Verheißung tröstender Geborgenheit, an der man sich festhalten kann, wenn in einer fremden Umgebung alles kalt und feindlich wirkt, wenn man am liebsten zu Hause wäre und in einer Bahnhofshalle oder an einer regnerischen Straßenecke deshalb in sich selbst nach ein wenig Rückzug und Sicherheit sucht.

Die Produktpalette wächst unaufhörlich und erstreckt sich vom Kühlregal bis zu den Spezialitäten bestimmter Marken, doch diese Variationen sind eher ein Nebeneffekt. Der eigentliche Gegenstand ist die Verpackung selbst. Deshalb ist sie als Wirtschaftsfaktor auch eine einzigartige Erscheinung aus Geben und Nehmen. Es ist kein Zufall, wenn die Pappbecher immer eleganter und stylischer werden, optisch immer konsequenter die Farbe des Kaffees mit der Vorstellung von Naturnähe und Ursprünglichkeit verbinden. Die Packaging-Industrie widmet ihnen zunehmend Aufmerksamkeit, und Designer, aber auch Künstler und Illustratoren versuchen sich an ihrer Gestaltung. Sie kreieren immer originellere und mitunter recht edle Dessins und Oberflächen, und betrachten die Aufgabe als reizvolle Herausforderung und Eigenmarketing zugleich. Unternehmen sichern sich Rechte an traditionellen afrikanischen Mustern und bereisen die Welt in der Hoffnung auf neue Anregungen. Sammler haben längst einen Markt erkannt und streiten um Sonderausgaben.



Die Coffee to go-Becher sind tatsächlich mehr als ein Einweg-Gefäß, und selbst ein zunehmendes ökologisches Bewusstsein konnte sie nicht aus unserem Alltag verbannen: Die Mehrweglösungen, die sie ersetzen, erhalten sorgfältig ihre Form, ihren Geist und ihr Flair. Sie sind der Ausdruck unserer Erwartungen, Hoffnungen, Träume und Ängste und ein Messfühler unserer Zeit.




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