Trend „Nativescape Stores“
- Martina Schmid

- 8. Nov.
- 5 Min. Lesezeit

Das erste Viertel des 21. Jahrhunderts wurde unter anderem von der Suche nach neuen Wegen des Konsums geprägt. Ob Nachhaltigkeit, Genügsamkeit, ethisches Kaufen, Online-Chat- oder KI-Kaufberatung … unsere Art, Produkte auszusuchen und zu erwerben, hat sich grundlegend verändert, und dies, blickt man auf die Jahrhunderte zuvor, in tatsächlich verhältnismäßig sehr kurzer Zeit. Das Angebot musste sich entsprechend anpassen und bietet – sei es aus einem inneren kreativen Originalitätsbedürfnis oder aus der kaufmännischen Not heraus, einem übersättigten Markt zu begegnen – immer neuere Ansätze. Zu denjenigen, die aus beiden Antrieben entstanden sind, gehören die Nativescape Stores.
Was sind Nativescape Stores? Wort, Ursprung und Gegenwart
Das Kofferwort selbst entstand in den USA bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aus „native“ für „heimisch“ und „scape“ als Abkürzung für „landscape“ wurde der Name gebildet, der ursprünglich eine Reihe von Geschäften bezeichnete, in denen Samen und Pflanzen einheimischen Ursprungs verkauft wurden. Dieses erstaunlich modern anmutende ökologische Konzept zielte in erster Linie darauf, interessierte Hobbygärtner die lokale Flora entdecken zu lassen und sie somit zu erhalten und zu fördern. Oft wurden diese kleinen Läden, die sich der Vermittlung solcher Sämereien widmeten, von amerikanischen Ureinwohnern oder in Verbindung mit ihnen und ihren Reservaten betrieben, so dass sich für sie die Gelegenheit ergab, parallel dazu ihre Handwerkskunst zu vermarkten. Nach und nach wurden diese Nativescape Stores den Konsumenten langweilig und verschwanden in dieser gemischten Form, während die indigene Kunst andere Lösungen fand.Wiederbelebt wurde der Begriff Mitte der 2010er-Jahre jenseits des Pazifiks, in Japan, von der Organisation Unagi-no-Nedoko (うなぎの寝床). Nun ging es allerdings nicht mehr um Gartengestaltung, sondern um ein Konzept des kaufmännischen Designs, das „Landschaft“ als ganzheitlichen Lebensrahmen versteht und Menschen verbindet, die Lokalität in all in ihren Aspekten im Zentrum ihres kommerziellen und privaten Handelns leben und vermitteln wollen: Lokales Leben, lokale Produkte, lokale Kochkunst, typische Flora und Fauna stehen im Mittelpunkt. Diese Idee machte sich auf, die ganze Welt zu erobern, ist nun in Italien, Slowenien, Großbritannien bereits erfolgreich und findet seit kurzem auch Interessenten in Frankreich und Nordamerika.

Ziele und Motivation des modernen Nativescape Stores
Wer sich allerdings kleine Geschäfte mit etwas verstaubtem regionalem Kunsthandwerk und ein paar bemüht zusammengestellten landwirtschaftlichen Erzeugnissen vorstellt und an die übliche „Touristenware“ denkt, irrt. Trotz ihrer Verankerung in Geschichte und Tradition sind Nativescape Stores von verblüffender Modernität und resolut zukunftsgewandt.
Das „Produkt“ ist hier in der Tat die ganze Region selbst, ihre Lebensart und ihre wirtschaftlichen Stärken. Nachhaltigkeit spielt eine erhebliche Rolle, aber sie geht weit über die ökologische Dimension hinaus. Nativescape Stores sollen nicht zuletzt dazu beitragen, Landstriche lebensfähig zu erhalten oder wieder werden zu lassen und neue, zeitgemäße Arbeitsplätze und Geschäftsmodelle zu schaffen. Gerade deshalb finden sie in den Ländern Anklang, die aus demografischen und geografischen Gründen nach ökonomischen Lösungen für verlassene und in der Altersstruktur gefährdete Orte suchen.
Auch die Zielgruppen sind vielfältig und dies gehört ebenfalls zur Ganzheitlichkeit des Konzepts. So sollen Touristen an einem einzigen und übergreifenden Ort Produkte und Traditionen vermittelt werden, aber auch bzw. gerade Einheimischen sollen die Vorzüge ihrer eigenen Region vor Augen geführt werden. Dies soll das Kaufverhalten anregen und verändern, die emotionalen Bande zur Region wieder ins Bewusstsein bringen und auf diese Weise zu ihrer allgemeinen Aufwertung beitragen.Das allgemeine Ziel ist es, das Eigengesicht und die Vorzüge einer Region und ihrer Erzeugnisse und – nicht zuletzt verloren geglaubte handwerkliche – Traditionen gezielt und nachhaltig zu vermarkten und hierfür die lokale Wirtschaft branchenübergreifend zu organisieren, zu motivieren und zu animieren, indem zuverlässige neue Absatzmöglichkeiten selbst für kleine örtliche Betriebe geschaffen werden.

Ausdrucksformen und Vielfalt als Konzept der Nativescape Stores
Aufgrund seiner doppelten Zielgruppe aus Einheimischen und Touristen ist ein Nativescape Store immer und in erster Linie ein Concept Store, und dies bedeutet, dass er ein eindrucksvolles Gesamterlebnis bietet.
Werkzeug dieser Erfahrung ist eine besondere Architektur und Innenarchitektur, bei der ausschließlich Naturmaterialien und Bautechniken aus der Region innerhalb eines sehr zeitgemäßen und auf ästhetischen Erlebniswert bedachten Designs eingesetzt werden. Auch nachhaltige Energiekonzepte mit natürlichen und örtlichen Energiequellen gehören dazu. Design ist hierbei ein zentrales und sorgfältig eingesetztes Vermarktungsinstrument, das jedem Nativescape Store seine unverwechselbare Identität verleiht.
Alle regional relevanten Branchen – ob Forst-, Wasser- und Landwirtschaft, Food, Kleidung, kunsthandwerkliche und industrielle Traditionen –, Natur und Landschaften, Mentalitäten sind gleichermaßen vertreten und werden mit Bezug aufeinander inszeniert. Ein Nativescape Store ist nicht nur ein Verkaufsraum, der im übrigen manchmal mehrere Etagen oder mehrere unmittelbar aneinander angrenzende Häuser einschließen kann, sondern eine eigene Entdeckungswelt, teilweise mit Cafés, gehobenen Spezialitätenrestaurants, Vortragsveranstaltungen, Übernachtungs- und Workshop-Möglichkeiten, Co-working-Spaces, geführten Natur-Touren oder Verbindungen zu einem touristischen Erlebnis.
Ein Grundgedanke, der durch die Verschmelzung von Vielfalt, immersiver Erfahrung und Designstärke zugleich unterstützt werden soll, ist die emotionale Unvergesslichkeit als Alleinstellungsmerkmal.
Herausforderungen
Dürfen die Nativescape Stores in den Ländern, in denen sie bereits bestehen, als im Allgemeinen erfolgreich bezeichnet werden, so sind diese ehrgeizigen und durchaus hochaktuellen Konzepte allerdings nicht frei von Herausforderungen.Die Notwendigkeit einer extrem hochwertigen Inszenierung mit sehr anspruchsvollen Designs bedingt enorme Startkosten, und die handwerkliche Herstellung der Waren in kleinen bis sehr kleinen Betrieben erfordert eine systematische Verkaufsstrategie. Der örtliche Absatzmarkt ist jeweils wiederum begrenzt, so dass sich die Produkte über ihre Qualität und Einzigartigkeit profilieren müssen, wodurch sie in ein gehobenes Preissegment gedrängt werden. Was also zur Sicherung eines belastbaren Einkommens beitragen soll, kann sich langfristig zugleich zu einem Hemmnis entwickeln.Gerade der regionale und analoge Charakter der Stores macht eine Verbreitung schwierig: Werbung kann kaum regionenübergreifend gesteuert werden und ist oft auf touristische Partner angewiesen. Die Vermarktung erfolgt erst bei den Touristen oder der einheimischen Bevölkerung, dann über Mundpropaganda oder über Kundenbindung, wenn die Besucher dann nach ihrer Abreise weiter auf die vor Ort entdeckten Produkte setzen wollen. Die Möglichkeit, später in einem digitalen Ableger des analogen Nativescape Stores zu bestellen, setzt einen starken und dauerhaften emotionalen Eindruck voraus und kann sich langfristig nicht zuletzt zu einem zweischneidigen Schwert entwickeln, wenn die digitale Nachfrage den lokalen Markt überflügeln sollte. Diese Gratwanderung feinfühlig und erfolgreich zu meistern, ist für die Organisation des Nativescape Stores mit sehr viel Engagement, permanenter Anpassungsfähigkeit und herausragenden kreativen Fähigkeiten verbunden.
Tatsächlich dürfen die Nativescape Stores als Erfolg bezeichnet werden: Es ist an allen Orten, an denen sie entstanden sind, eine wirkliche Belebung örtlicher Betriebe feststellbar. Tourismus und Stores befruchten sich gegenseitig und deuten für viele aussterbende oder wirtschaftlich wenig erschlossene Regionen eine positive Wende an. Einheimische überlegen weniger oft, die Region zu verlassen, da sie in diesem Absatzmarkt und seiner mit Professionalität und Leidenschaft gesteuerten Wandel- und Anpassungsfähigkeit eine tragfähige Perspektive spüren. Nativescape Stores sind insbesondere in Zeiten von KI und digitalem Leben eine Geschäftsidee, die mehr als nur analoge Nostalgie oder Flucht zu bieten hat: Sie verkaufen Lebensart und Landschaften, Ästhetik und Menschlichkeit, Authentizität, also gerade die Dinge, die Computer nicht zu ersetzen vermögen, und die einem echten Alltagsbedürfnis und Bedarf entsprechen. Und darin liegt sicher auch ihre Zukunft.


