Begrünung von Städten: Landestypische Umsetzungen eines weltweiten Trends
International besteht darüber Einigkeit: Unsere Städte müssen und sollen grüner werden. Artenschutz, Klima und Lebensqualität hängen davon ab, dass es uns gelingt, Pflanzen und Insekten in unseren kleinen und großen Metropolen wieder anzusiedeln. Guerilla Gardening, Urban Gardening, Urban Landscaping, Vertical Gardening – die Konzepte hierfür tragen nicht nur vielfältige Namen, sie werden auch von Land zu Land unterschiedlich wahrgenommen und verwirklicht.
Singapur – zwischen Notwendigkeit und Vorschriften
Wenig Platz und tropisches Klima Im flächenmäßig kleinsten Staat Südostasiens ist paradoxerweise alles hoch: die Bevölkerungsdichte, die Gebäude, die Hitze, die Luftfeuchtigkeit. Raum allein ist Mangelware, was nicht nur zu vergleichsweise märchenhaften Immobilien- und Mietpreisen führt. Was knapp ist, will gut verwaltet werden, und so verwundert es kaum, dass Stadt- und Raumplanung in Singapur eine politisch und technisch zentrale Rolle spielen und Gegenstand vieler permanenter Überlegungen und strenger Regelungen sind. Singapurs Erfolg und Wachstum geben zu Stolz, aber auch zu Besorgnis Anlass – und der Klimawandel mit noch größerer Hitze und der dramatischen Verstärkung der tropischen Regenfälle ist ein Teil davon.
Eine systematische Parklandschaft Es ist nicht so, dass es Singapur an grünen Oasen mangeln würde. In fast jedem Viertel sind Grünflächen im Straßenbild überall zu sehen, Häuserblocks sind von Bäumen umgeben, Wolkenkratzer scheinen regelrecht aus dem Dschungel herauszuragen. Trotz einer Fläche von weniger als 730 km² finden sich hier 16 aufwendig gestaltete Parks mit einer Gesamtfläche von unglaublichen 3.320 Hektar. Diese mögen seinerzeit als Touristenattraktion und zu repräsentativen Zwecken angelegt worden sein, tatsächlich sind sie heute aber durchaus ein Reservat für Flora und Fauna und übernehmen als solche eine sorgfältig durchdachte und streng kontrollierte konservatorische Rolle. Schmetterlinge, Mangroven und Feuchtgebietspflanzen, Orchideen und Insekten sind hier zu bewundern – viele von ihnen sind aus anderen tropischen Regionen aufgrund von Umweltschäden bereits verschwunden.
Höher, weiter, durchdachter
Doch Singapur wäre nicht Singapur, wenn es nicht versuchen würde, die Dinge noch ein wenig besser zu machen. Zudem hat Singapur allem wirtschaftlichen und finanziellen Erfolg zum Trotz Sorgen: Das Leben, das im Insel- und Stadtstaat aufgrund seiner geographischen Lage ohnehin nicht ganz einfach ist, soll in Zeiten des Klimawandels und der Energie- und Ressourcenknappheit möglich und lebenswert bleiben. Wohn- und Arbeitsräume kühl zu halten, ist dabei eine der Hauptherausforderungen.
Greenology – neue Ansätze für neue Zeiten Lösungen werden im Dialog und interdisziplinär besprochen und erwogen. Greenology heißt das Zauberwort. Stadtplaner, Architekten, Wissenschaftler arbeiten Hand in Hand und mit bemerkenswerter Akribie an einem Projekt, das nicht scheitern darf. Heimische Pflanzen sollen als Fassadenbegrünung unter Aufrechterhaltung des jetzigen Baubestands verwendet werden. Der Gedanke ist, dass sie zum einen mit den klimatischen Bedingungen naturgemäß am besten zurechtkommen und in der Lage sind, Feuchtigkeit aus Luft und Mauerwerk zu ziehen, wodurch das Raumklima besser wird. Als grüner Vorhang kühlen sie die Fassade und die umgebende Luft. Zudem bieten sie den heimischen Insekten und Kleintierarten eine Zuflucht und sind ein wirksamerFilter gegen Smog.
Vertikale Landschaften Da in Singapur hochgebaut wurde und wird, ist die Aufgabe auch für Botaniker faszinierend: In den oberen Etagen eines Wolkenkratzers können tropische Pflanzen eingesetzt werden, die in der Natur in großer Höhe wachsen, untere Etagengruppen brauchen wiederum eher Pflanzen, die mit wenig Licht auskommen. Dieses Projekt wird mit besonderer Intensität vorangetrieben und könnte sich als Musterbeispiel für andere Länder und Weltregionen erweisen. Gleichzeitig werden Urban Gardening-Projekte der besonderen Art gefördert: Die Bürger werden ermutigt und angeleitet, ihre Balkons, so klein sie zuweilen auch sein mögen, in ein kleines Gemüse- oder Kräuter-Gärtlein zu verwandeln – viele sehen darin einen Meilenstein und einen Paradigmenwechsel in der Geschichte des auf Ordnung und Gleichförmigkeit bedachten Singapurs.
Japan – zwischen Planung und Liebe
Eine bedingungslose Liebe Natur spielt in der japanischen Philosophie und im Alltag seit jeher eine zentrale Rolle, und es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass sie die große Liebe der Japaner ist. Das Leben im Rhythmus der Jahreszeiten, die emotionale Verbindung zur Kirschblüte, die Verehrung von Wäldern, Moos, Bergen und Seen, denen auch eine spirituelle Bedeutung zukommt, spiegeln eine lang tradierte und besondere Beziehung wider, die weltweit ohnegleichen scheint.
Landwirtschaft – mitten in der Großstadt Tatsächlich könnte man meinen, dass es überflüssig ist, in Japan über Stadtbegrünung nachzudenken. Von jedem beliebigen Punkt im Zentrum der Großstädte Tokyo, Kyoto, Osaka oder Nagoya sind es mit dem Zug nur wenige Kilometer bis man mitten im Stadtgebiet, zwischen Hochhäusern, Busbahnhöfen und Parkplätzen, der S-Bahnlinie entlang oder am Rande einer modernen Siedlung aus Einfamilienhäusern unzählige landwirtschaftlich bestellte Flächen entdeckt – einige sind kaum größer als der Garten eines Selbstversorgers, andere erreichen in langen Reihen das Ausmaß eines industriellen Betriebs. Nicht immer ist transparent, wer genau diese Beete und Felder bewirtschaftet, die mit Kohlsorten, Rettich, Rüben und Salat oder sogar Obstbäumen bepflanzt sind. Die Antwort ist überraschend: Professionelle Landwirte und Hobbygärtner arbeiten hier nämlich Zaun an Zaun. Was den westlichen Besucher ins Staunen versetzt, ist in Japan Normalität. Gerade diese Farmer sind es, die die Märkte, Supermärkte und kleinen Lebensmittelgeschäfte der täglichen Versorgung in den Metropolen beliefern – immer häufiger bieten gerade sie Bioprodukte aus ökologischem Anbau, ohne Dünger und Pestizide und ohne Einsatz von Maschinen, und füllen so die Marktlücke, die konventionelle landwirtschaftliche Betriebe aufgrund der Dimensionen der japanischen Bevölkerung im urbanen Umfeld nicht schließen können. Lehrreich und gesund Die Großstädte und ihre Farmer sind es auch, die in der Pandemie neue Wege der Freizeitgestaltung eröffnet und somit zur Entstehung eines neuen Bewusstseins für die Bedeutung von Stadtbegrünung beigetragen haben, die nun landesweit auf kleinere Städte übertragen werden. Den während der Lockdowns in ihren viel zu kleinen Wohnungen eingesperrten und sich nach Freiheit, Beschäftigung und Ablenkung sehnenden Großstädtern boten viele Gemüsegärtnereien und Bauernhöfe an, auf ihrem Grund kleine Beete oder Parzellen zu mieten und dort unter fachkundiger Anleitung ihr eigenes Gemüse anzupflanzen und mit Stolz den echten Geschmack der Natur mit nach Hause zu nehmen. Diese Möglichkeit, einfach mal „herauszukommen“ und oft nur eine Bahnhaltestelle oder keine 20 Minuten Autofahrt von der eigenen Wohnung entfernt frische Luft zu tanken, etwas Sinnvolles zu tun und dabei Gesundes zu produzieren, nahm die Bevölkerung Tokyos gerne an.
Das öffentliche Blumenbeet als sozialer Treffpunkt Trotz alledem gibt es auch in Japan neuere Initiativen, um Viertel und Städte grüner, lebenswerter und ökologischer zu machen. Die japanische Weltanschauung weist dazu wertvolle Wege. Landschaftsarchitekten verabschieden sich immer mehr von einer theoretischen Landschafts- und Gartenplanung, Bäume und Grünflächen werden nicht mehr nur nach ästhetischen Gesichtspunkten oder als grüne Lunge ausgesucht: Nutzpflanzen und Obstbäume werden als Elemente des Alltags in die Stadtgestaltung integriert. Sie dienen als Lehrbuch der Natur für Klein und Groß, aber auch als sozialer Treffpunkt und Mittler zwischen den Generationen.
Schließlich ist noch zu erwähnen, dass Stadtbegrünung in Japan auch heißen kann, dass das Innere eines Gebäudes als landwirtschaftliche Fläche genutzt wird – ob zum Reis- oder Obstanbau im Büro.
Deutschland – zwischen Garten und Gesetz
Das Land der Industrie … und der ersten ökologischen Bewegung Im Ausland hat Deutschland zuweilen ein widersprüchliches Image: Es ist das Land der Automobil- und Großindustrie, aber auch das Land, das, so von vielen Ländern aus betrachtet, mit „Den Grünen“ Ökologie als politisches Thema überhaupt erfunden und von einer Randerscheinung zu einer europaweiten Kraft begründet hat. Eintracht herrscht wiederum darüber, dass es auch das Land der Bürokratie, der Formulare, Anträge und Vorschriften sei.
Darf Natur wild sein? Was wie Stereotype aus grauer Vorzeit klingen mag, ist zugegebenermaßen vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen – und ein gegenteiliges Bild zu vermitteln, fällt nicht immer leicht: Erzählt man in Italien, Spanien oder Portugal, dass Ordnungsamt-Mitarbeiter auf der Suche nach Verstößen gegen sogenannte Grundstücksgrenzbepflanzungsverordnungen regelmäßig durch die Straßen patrouillieren oder dass Gras als Verkehrsgefährdung aufgefasst werden kann, staunt der Gesprächspartner oft nur ungläubig. Noch zu deutlich sind in der Erinnerung die Zeiten, in denen das Wort „Waldsterben“, das in vielen Sprachen keine Entsprechung fand, von Deutschland aus in die Welt ging und den schützenswerten Charakter der Natur zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit hervorhob. Es klingt unglaubwürdig, dass in der Heimat des ökologischen Denkens überhängende Rosen eine feste lichte Höhe und Hecken eine vorgeschriebene Tiefe haben müssen, und dass sogar einige Grundstückbesitzer angesichts solcher neben einem stressigen Arbeitsalltag kaum zu erfüllenden Vorgaben beschließen, ihren Vorgarten mit nutzlosen, hässlichen und tierfeindlichen Steinflächen zu füllen. Und doch … Eine typisch deutsche Erscheinung Ebenso überraschend mutet jenseits der deutschen Grenzen das Phänomen des Schrebergartens an. Auch hier wird der Begriff in anderen Sprachen meistens umschrieben und nicht übersetzt, entzieht er sich schlicht der Vorstellung. Wie ist zu erklären, dass aus Freude am Gärtnern in den Städten die Möglichkeit angeboten wird, kleine Grundstücke zu mieten und zu bestellen, dies aber in einem streng überwachten Verhältnis von Zier- und Nutzpflanzen zu geschehen hat und die Freiheit der Natur in ein enges Korsett gezwängt wird? Gewaltlose junge Rebellion Gerade aus solchen Widersprüchen erwuchs in den 1990er Jahren eine Bewegung, die sich rebellisch gab. Unter dem Namen „Guerilla Gardening“ bemächtigten sich insbesondere junge Menschen widerrechtlich öffentlicher freiliegender Flächen, etwa unter Bäumen oder auf den Trennstreifen breiterer Fahrbahnen, und bepflanzten sie – heimlich und oft im Schutze der Nacht – mit Wiesenblumen oder Zierpflanzen. Was eindeutig gegen das Gesetz verstieß, wurde von der Breite der Bevölkerung allerdings mehrheitlich freundlich und positiv aufgenommen, zauberten die zarten Pflänzchen an den unerwartetsten Stellen doch ein Lächeln auf das Gesicht eines jeden Passanten. Bald entstand daraus ein Geschäft: Unternehmen verkauften von nun an „Seedballs“ oder „Seedbombs“, kleine mit Pflanzensamen gefüllte Kugeln aus Erde und Ton, die nur noch geworfen werden mussten, keine besonderen gärtnerischen Kenntnisse erforderten und somit von jedem, der mitmachen wollte, verwendet werden konnten. Tatsächlich stammt diese Art der Bepflanzung aus der japanischen Landwirtschaft und war auch bei den amerikanischen Ureinwohnern bekannt, bevor Kolumbus auch nur einen Fuß in die „Neue Welt“ setzte. Pragmatisches Denken Schnell stellte sich heraus, wie sinnvoll diese zusätzliche Bepflanzung der Stadt angesichts von Klimawandel und Dürreperioden sein kann. Anstatt der Bewegung ein Ende zu bereiten, unterstützten die Städte insbesondere ab den 2010er Jahren den Weg der freiwilligen Begrünung: Ladenbesitzer etwa wurden dazu ermutigt, die kleinen öffentlichen Beete vor ihrem Geschäft selbst zu begrünen und zu pflegen. Immer häufiger werden diese zu ihrem Schutz sogar mit einer dünnen Kordel eingezäunt, Passanten werden durch lustige Schilder aufgefordert, die Pflanzen nicht zu zertreten. Die Stadtbäume müssen auch in heißen Sommern nicht mehr so oft von der öffentlichen Hand gegossen werden, das Grün soll auch zur Kühlung der Luft beitragen, ganze Viertel wirken einladender, und viele Teilnehmer achten mittlerweile darauf, bienenfreundliche Pflanzen zu wählen – ein Gewinn für alle.
Gutes Gewissen und Gesundheit ganz nah Urban Gardening nimmt aber auch andere Formen an: Seit der Pandemie etwa wachsen verstärkt auf manchen Balkons Paprika-Pflanzen, Johannisbeeren, Tomaten oder Apfelstämmchen. Gärtnereien bieten Blumenkastenbesitzern bienenfreundliche Samenmischungen an, die nicht nur optisch Freude schenken, sondern einen mit dem guten Gefühl belohnen, selbst im begrenzten Rahmen der Möglichkeiten einer Mietwohnung etwas Sinnvolles für die Natur getan zu haben und seinen kleinen Beitrag zu leisten.
Frankreich – zwischen Paris und Provinz
Grün, soweit das Auge reicht
In einem Land mit weiten landwirtschaftlichen Flächen und einer eher überschaubaren Zahl an großen Ballungsräumen scheint die Frage der Begrünung eine lösbare Aufgabe zu sein. Doch ganz so einfach ist es nicht. Frankreich ist zwar für seine graphischen Ziergärten mit den typischen Buchsbaumstrukturen berühmt und darauf stolz, ist aber auch emotional sehr mit dieser Tradition verbunden. Versuche, Großstädte auf andere Weise lebenswert und ökologischer zu gestalten, scheitern mitunter am Widerstand der Bevölkerung und können ungeahnte Konsequenzen im sozialen und politischen Gefüge haben.
Stadt, Land … kein Fluss? In der allgemeinen Vorstellung gehört das Grün entweder aufs Land, oder in ordentlich gepflegte und eingezäunte Parks, oder dient als repräsentative Barockzierde vor dem Eingang von Schlössern und Luxus-Hotels. Wer Sehnsucht nach der Natur verspürt, fährt gelegentlich zu weit ab der Metropolen lebenden Verwandten oder zieht sich regelmäßig in die „maison de campagne“ zurück, das beliebte Wochenendhäuschen, das dank flexibler Jahresmietoptionen und eines Angebots, das von der kleinsten Holzhütte bis zur Luxusvilla reicht, vielerorts nicht nur Wohlhabenderen, sondern beinahe jedem „Normalbürger“ selbst mit kleinem Einkommen ermöglicht wird. Politik zwischen Zugzwang und Bürger Die Politik allerdings konnte sich den Zeichen und den vom Klimawandel bedingten Handlungserfordernissen nicht langfristig verschließen und trachtet danach, Großstadtstrukturen und -gewohnheiten zu verändern. Die Maßnahmen sind eher zaghaft und beginnen bewusst mit vorsichtigen kleinen Schritten, die zu einem Wandel auch in den Köpfen führen sollten. Vielen allerdings gehen selbst diese ersten Anregungen bereits zu weit. Die Hauptstadt wehrt sich In Paris etwa hatte die Bürgermeisterin Anne Hidalgo aufgefordert, die Metallgitter unter den städtischen Bäumen konsequent durch blühende Wiesenpflanzen zu ersetzen. Ebenso sollten wild wachsende Blumen und Gräser wie Mohn, Weidenröschen, Löwenzahn, Disteln und andere vermeintliche „Unkräuter“, die sich hier und da zwischen Bürgersteig und Hauswand, an Bushaltestellen oder am Rande einer Brückenmauer niederlassen, nicht mehr systematisch herausgerissen werden. An einigen Stellen der Stadt wurde das Pflaster aufgerissen, um kleine Beete anzulegen, neue Bäume wurden dort wieder gepflanzt, wo sie im 19. Jahrhundert gestanden hatten. All dies führte zu einer in den Sozialen Netzwerken mit erstaunlicher Feindseligkeit geführten Gegenkampagne. Als gezielte Verwahrlosung der Stadt wurden diese an sich harmlosen Schritte aufgefasst, als Angriff auf die Kultur Paris‘, der sogar Touristen abschrecken könne und dem Ruf ganz Frankreichs als Reiseziel schaden würde. Wer es wagte, auszusprechen, dass diese Ideen nicht unbedingt alle schlecht seien, sah sich Hasstiraden ausgesetzt, die zusammenfassend zum Inhalt hatten: Wer Gras und Unkraut sehen und damit „im Dreck leben“ wolle, solle gefälligst aufs Land zu den Waldschraten ziehen und die sauberen Bürger der Stadt in Ruhe lassen – die neu gepflanzten Bäume seien ein Parkhindernis, weil sie ein zügiges Aussteigen verhinderten, und somit ein einziges Ärgernis. Anne Hidalgo kostete es schließlich die politische Karriere: Ihre einst guten Aussichten, eines Tages Frankreichs erste Staatspräsidentin zu werden, zerfielen wie durch Zauberhand zu Staub. Ihr wird vorgeworfen, dass ihr Beharren auf einer ökologischeren Stadtpolitik auch nach ersten Rückschlägen zum endgültigen landesweiten Absturz ihrer Partei erheblich beigetragen habe. Auch wenn Paris in Frankreich ohnehin eine Sonderstellung innehat, die für die französische Mentalität bekanntlich alles andere als typisch ist, wollten einige Bürgermeister anderer Metropolen kein Risiko eingehen und lernten schnell daraus: In Bordeaux wurden in den Randvierteln der Stadt bestehende Parks durch große Wohntürme ersetzt. In der Provinz: eine andere Welt Stadtbegrünung wird somit in Frankreich zu einem größeren Politikum – und verstärkt die ohnehin berühmte Kluft zwischen Großstädten und Provinz, in der ob dieser Auswüchse nur verständnislos kopfschüttelnd reagiert wird. Die kleine Stadt Antibes an der französischen Mittelmeerküste etwa geht unkompliziert einen bewusst ökologischen Weg. Der bekannteste Stadtpark im Gemeindeteil Juan-les-Pins, der den malerischen Namen „Pinienhain“ trägt, wurde mit Unterstützung und zur Freude der Bürger renaturiert: Reine Zierpflanzen wie Fleißige Lieschen, Blumenrohr und Strelitzien, die zwar hübsch anzuschauen sind, aber keinen umwelt- und insektenbezogenen Mehrwert bieten, wurden durch alte und oft vergessene Sträucherarten, einst heimische Kräuter und Lavendel ersetzt. Hierfür wurde der Boden komplett ausgetauscht und die ursprüngliche regionale Bodenzusammensetzung wiederhergestellt. Die Stadt wird so ein wenig authentischer, insektenfreundlicher und ist mit einer Begrünung, die der Region seit jeher entsprach, für den künftigen Wechsel von Dürreperioden und sintflutartigen Regenfällen besser gerüstet. Die Beete werden auch ab und zu als Lerngärten für Grundschulkinder genutzt.
Die Spielarten der Stadtbegrünung scheinen endlos variierbar zu sein. Anders als in Asien, wo sich Stadtplanung entweder als eine Vernunftentscheidung aus der Dringlichkeit des Überlebens heraus oder als Herzensangelegenheit und logische Fortführung jahrhundertealter Traditionen und Denkweisen darstellt, gestaltet sie sich in Europa vorerst als vorsichtiger Kompromiss, der nicht frei von Skepsis ist. Andernorts, vor allem in den USA, wo die Begrünung einer alten Bahntrasse aus den 1930er Jahren zum Startschuss einer neuen Bewusstwerdung und unzähliger vielfältiger Projekte wurde, und wo die vielen neugestalteten Rooftops von unerschöpflicher Kreativität erzählen, wird sie eher spielerisch umgesetzt und zeugt von der jugendhaften Mentalität einer Welt, die sich grundsätzlich gern Neuem öffnet. So oder so: Unsere grünen Städte werden in ihren unterschiedlichen, kulturtypischen Übersetzungen Lifestyles begründen … und ablösen.
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