
„Design“ zu definieren fällt den meisten Menschen leicht und schwer zugleich. Es ist ein komplexer, mosaikartiger Begriff, der sich kaum in wenigen Zeilen umreißen lässt. Er steht in der allgemeinen Vorstellung für Schönheit, Ästhetik, aber auch – und insbesondere im deutschen Sprachraum – mitunter für als überzogen und lebensfern wahrgenommene künstlerische Ansätze, denen nicht selten vorgeworfen wird, eher die selbstdarstellerischen Ambitionen der Kreativen, ihren eigenen Geschmack und ihre abstrakten, rein theoretischen Weltanschauungen und Prinzipen zu bedienen als tatsächlichen Wert zu erbringen. Japan hat die Quadratur des Kreises gefunden und bietet in dieser Hinsicht eine Neuübersetzung dessen, was Design sein kann, die international Konsens schafft, inspiriert und neue Wege jenseits der kreativen Konzeption aufzeigt.
Japanisches Design: bewundert und beneidet
Wenn es um Design geht, stehen einige Länder und Regionen an prominenter Stelle: Design wird spontan mit Skandinavien, Italien und Japan assoziiert – und tatsächlich haben sie in ihren jeweiligen Gebieten wie Wohnen, Mode und Gegenstände des täglichen Gebrauchs unverrückbare und unerreichte Maßstäbe gesetzt und dadurch eine hohe und einzigartige Wiedererkennbarkeit und Wertschätzung erreicht.Japanisches Design insbesondere erfreut sich in den letzten 20 Jahren wachsender Bewunderung und Beliebtheit und wird gern und oft kopiert, nachgeahmt, oder zumindest zitiert und heraufbeschworen. Es steht für klare Linien, puristische, ruhige Strukturen, natürliche Materialien und echte Werte. Japan hat Schlichtheit zu einem höchsten optischen Genuss und Vorbild erhoben, und dieser Minimalismus wurde international zum Trend.
Design: Japan und der Westen
Bei aller Bewunderung: Nicht immer allerdings wird japanisches Design tatsächlich verstanden.
Japan vs. Loos und Bauhaus
Für die japanische Denkart sind Prinzipien wie „Form follows function“, die im deutschen Sprachraum nach wie vor mit großer Überzeugung als „das“ Design-Gesetz par excellence, ja als Maßstab für Design-Qualität gelten, ganz und gar undenkbar.In der japanischen Kultur ist in allen Facetten des Lebens die Natur allgegenwärtiges und oberstes Vorbild. Aus ihrer Beobachtung ist die Lehre erwachsen, dass alles nur im Zusammenspiel, im Ineinandergreifen funktionieren kann. Form und Funktion müssen in perfekter Harmonie und Balance zueinander stehen, einander ebenbürtig ergänzen – und dies gilt im Design erst recht.
Ist japanisches Design überhaupt vermittelbar?
Begriffe wie Wabi Sabi oder Zen-Design, die in Mode gekommen sind und auf Plattformen wie Pinterest und Instagram Hoch-Zeiten feiern, haben nur wenig mit dem zu tun, was in Japan mit diesen Wörtern gemeint ist. Wabi Sabi etwa darf durchaus als unübersetzbar gelten: Es ist nicht nur nicht möglich, diesen Ausdruck in westlichen Sprachen durch ein einzelnes Wort wiederzugeben, er umfasst so viele Facetten, dass selbst Muttersprachler auf die Frage nach der richtigen Bedeutung innehalten und nachdenklich werden. Jede Erklärung ergießt sich unvermeidlich in langen und verschlungenen Sätzen, und selbst sie erschließen dem westlichen Ansprechpartner nie ohne Weiteres vollständig, was gemeint ist.
Die Rezeption japanischen Designs im Westen: Anziehung und Missverständnisse
Auch wenn dies nur ein – sehr eingeschränktes – Beispiel unter vielen ist: Es ist für die Rezeption japanischen Designs im Ausland typisch.Das Wertekonzept und die langtradierten Denkmuster, mit denen in Japan die optischen, gestalterischen Elemente verbunden sind, werden im Westen oft als theoretisches Fundament, als Philosophie betrachtet. Das sind sie nicht. Die ästhetischen Entscheidungen und Vorlieben sind nicht das Ergebnis von intellektuellen Überlegungen und aufgestellten Theorien. Spielt Spiritualität im Alltag dort in der Tat eine zentrale Rolle, so ist die Weltanschauung, aus der japanisches Design entsteht, eine sehr bodenständige, naturverbundene, die dem „wirklichen Leben“, der Beobachtung der Natur und des Laufs der Dinge, einen höheren Platz einräumt als abstrakten Grundsätzen.
Ebenso falsch ist es, ausschließlich den visuellen Aspekten, also der bestechenden, in ihrer Schlichtheit überwältigenden Schönheit der japanischen Ästhetik Rechnung zu tragen und sie damit auf das Erscheinungsbild von Wohnräumen, Ikebana und Origami, Gegenständen und Kleidung zu reduzieren: Denn der Geist, der sich hinter der Formsprache verbirgt, ist Teil des japanischen Gesamtkonzepts von Design.
Design und Interkulturalität
Solche Missverständnisse und grundlegende Unterschiede zeigen, wie schwierig interkulturelle Kommunikation sein kann, wie wichtig Kulturmittlung ist – aber auch, dass „Übersetzung“ sehr viel mehr ist als die Übertragung von Text. Indem der Westen japanisches Design optisch übernimmt, aber seinem eigenen kulturellen Rahmen anpasst, indem er es sozusagen mit eigenen Worten zu erklären und auszudrücken versucht, übersetzt er die Werte Japans, interpretiert sie auf der Grundlage der eigenen Kultur. Dies ist gelebte Interkulturalität.
Diese Begeisterung für diese japanische Form-, Raum- und Liniensprache, die so viele anspricht, ist der Beweis dafür, dass interkultureller Dialog immer möglich, fruchtbar und bereichernd ist.
Die Bedeutung des Wortes „Design“
Gerade in unserem Teil der Welt ist die Liebe zur japanischen Ästhetik groß. Zu oft bleibt dabei aber verborgen, wie das Land selbst Design auffasst und lebt. Und dies zu entdecken, ist eine faszinierende Reise. Dieses unzureichende, entstellend verkürzte Verständnis beruht pikanterweise auf einem sprachlichen Problem: die unreflektierte Übernahme von Fremdwörtern ohne tatsächliche Rezeption ihres Inhalts. Design ist ursprünglich kein Synonym für visuelle Qualität oder Kunst. Es bedeutet schlicht „gestalten“, „Form geben“ – nur haben wir dies verlernt.
Design in Japan: Formgebung als Zukunftskonzept
Back to the roots: der ursprüngliche Sinn
In Japan ist Design genau das, was wir von dem ursprünglichen englischen Wort durch den alltäglichen Sprachgebrauch vergessen haben, nämlich ein nicht gebundenes Konzept, das die unterschiedlichsten Lebensbereiche betreffen kann: Formgebung – ob für ein Gebäude, einen Gegenstand, eine Landschaft, die Gesellschaft. Design ist alles, was durch Gestaltung Dinge, Situationen, Beziehungen „schöner“ macht: ob im visuellen Sinn oder durch praktische oder zwischenmenschliche Verbesserungen.
Die Expo 2025 in Osaka: „Designing Future Society for Our Lives“
Die Wahl des Mottos der im Frühjahr beginnenden Weltausstellung ist Ausdruck dieser alles umfassenden Interpretation von Design, die zutiefst, ja unnachahmlich japanisch ist.Der wirtschaftliche Austausch soll im Kontext eines gemeinsamen bzw. gemeinschaftlichen Bestrebens um die Mitgestaltung einer lebenswerten Welt und einer florierenden Gesellschaft geschehen. Umwelt, Sicherheit, Städtebau, Technologie, Fortschritt, Genuss, Kunst und Kultur sind hierbei Steinchen eines Mosaiks, dessen Zusammensetzen dazu beitragen soll, das Morgen konstruktiv und positiv zu beeinflussen und zu modellieren.
Design ist in der japanischen Anschauung immer gleichzeitig Ausdruck und Motor von Innovationen, Ursache und Wirkung, Ergebnis und Programm. Es ist das Instrument der Wahl, um gezielt Veränderungen der Gesellschaft, des urbanen und ländlichen Umfelds, der Arbeitswelt, der Wirtschaft, des Natur- und Umweltschutzes, des Miteinanders zum Wohle aller und jedes einzelnen herbeizuführen. Es ist niemals Kunst um der Kunst willen, selbst dann, wenn es sich auf optische Werte bezieht: Es ist immer Nutzen, eine Möglichkeit, durch aktive Gestaltung die Welt besser zu machen.