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AutorenbildMartina Schmid

Karnevalsgebäck – kulturelle Varianten einer süßen versuchung


Krapfen, Berliner mit Füllung


Es gibt im Jahr Momente, an denen die ganze Welt zusammenzukommen scheint. Feiertage gehören dazu – und doch ist der Ausdruck „die ganze Welt“ in höchstem Maße irreführend: Karneval und Fastenzeit etwa sind genau wie Weihnachten und Ostern den christlich geprägten Kulturen vorbehalten – auch wenn Erstere eine durchaus religionsfreie geschichtliche Bedeutung und einen unbestrittenen gesundheitlichen Nutzen haben. Dieser Zyklus steht in unserer DNS geschrieben: Das Ende des Winters naht, es ist an der Zeit, sich von deftigem und allzu kalorienreichem Essen, das in der kalten Jahreszeit den Körper bei angemessener Temperatur halten und somit das Überleben sichern sollte, zu verabschieden und mehr Fitness zu gewinnen: im Mittelalter für die Arbeit auf dem Feld, in der Überflussgesellschaft des 21. Jahrhunderts vielleicht eher im Hinblick auf die Strandfigur. Bevor dies geschieht, wird ein letztes, ein allerletztes und seelenaufbauendes Mal in süßen Sünden geschwelgt.



Eine ganze Palette aus Texturen und goldbraunen Tönen

Ebenso wie in deutschen Landen mit den mitunter eifrig verteidigten Begriffen „Fasnacht“, „Fasching“ „Fassenacht“, „Fasteleer“, „Fastelovend“ und „Karneval“ diese Tage selbst regional ein jeweils anderes Gesicht bekommen, findet auch das entsprechende Gebäck weltweit die unterschiedlichsten Übersetzungen. Sie alle vorzustellen wäre ein bibliothekfüllendes Unterfangen. Aber schon ein kleiner … das Wortspiel sei an dieser Stelle verziehen … Vorgeschmack führt durch die erstaunliche Vielfalt einer an sich einfachen Zubereitung. Die Konsistenz der verschiedenen Spezialitäten bietet den ersten Anstoß und stellt die schwierige Frage der Qual der Wahl. Während einige Länder schwere Süße bevorzugen, setzen andere auf Knuspriges oder erfreuen sich an fluffig-leichten Kreationen.



Dünn und knusprig – von Ost bis West und Nord bis Süd Man nehme einen Hefe- oder Mürbeteig, rolle ihn dünn aus, schneide ihn nach einem bestimmten, oft rautenförmigen Muster und backe ihn in Öl aus. Was einfach klingt, ist die Geburtsstunde vieler Auslegungen ein- und derselben Grundidee und Myriaden von feinen Unterschieden und Bezeichnungen.

Schon in Italien bleibt es nicht allgemein bei den Chiacchiere. Aus leichten Abwandlungen entstanden in der Lombardei Lattughe, in der Toskana Donzelle, Cròstoli im Trentino und Bugie im Piemont.



Donzelle


Letztere übrigens sollen als Import der Familie Medici, die die französische Küche, wie wir sie heute kennen, maßgeblich beeinflusst hat, zu dem französischen Wort Bugnes geführt haben, das allerdings nur in der Region um Lyon verwendet wird, während im Süden Frankreichs von Merveilles (wörtlich „Wunder“) oder Oreillettes (also „Öhrchen“) gesprochen wird.

In der Schweiz wird die Lage trotz der überschaubaren Landesgröße nicht einfacher. Regional wird hier zwischen Fasnachtküchle, Fasnachtschüechlich oder Knieplätzli variiert – und viele kleine Ortschaften sind stolz darauf, ihr eigenes Rezept zu haben.


Aber kaum eine Interpretation dieses Gebäcks gibt sich so charmant und kokett wie die polnische. Faworki bedeutet nämlich Liebesschleifchen …



Feste Teige und eine (fast immer) runde Sache

Die norddeutschen Mutzenmandeln sind nur eine der vielen Varianten von kleinen und großen Kugeln, die international als Karnevalsgebäck verzehrt werden und auch hier sind sprachliche Irrungen und Wirrungen nicht ausgeschlossen. Ob ein Berliner korrekterweise als Berliner, Berliner Pfannkuchen oder Pfannkuchen zu bezeichnen ist, wird Jahr für Jahr in den Sozialen Netzwerken heftig diskutiert. Bei Quarkbällchen wiederum herrscht weitgehend Eintracht.

Luxemburg kennt eine ähnliche Rezeptur, wählt aber eine optisch etwas kompliziertere Ausführung. Bevor der Teig fröhlich im Ölbad sieden darf, wird er zu einem Knoten geknüpft, der den malerischen und ein wenig selbstironischen Namen Verwurelter trägt, also „Durcheinnander“.


Doch nicht alles, was rund und lecker ist, wird auch in Fett gebacken. In Skandinavien hat ein gefülltes Hefegebäck, in dem Marzipan oder zumindest Mandeln eine Hauptrolle spielen, in der Karnevalszeit seinen großen Auftritt und viele örtliche Übersetzungen – in Schweden heißt es Semlor oder Semla, in Finnland Laskiaispulla, in Norwegen und Dänemark Fastelavnsboller.



Semlor mit Schwedenfähnchen



Karneval zwischen Traditionen und Ausnahmen

In vielen Regionen der Welt würde diesen Wochen des Jahres etwas fehlen, wenn man sie ohne den Genuss von Brandteiggebäck verbringen müsste.

Klassische Beignets aus frittiertem Brandteig, die unbedingt heiß verzehrt werden müssen, haben es von Frankreich aus bis nach New Orleans geschafft, wo sie entscheidend zum Lokalkolorit und zum sprichwörtlichen Flair der Stadt beitragen.

Aber nicht immer wird der Brandteig frittiert. In Island ist die traditionelle Karnevalsleckerei ein Vatnsdeigsbollur, ein mit Schlagsahne und Marmelade gefüllter und mit Schokolade glasierter Windbeutel.


Andere Ausnahmen wären ebenfalls zu erwähnen: Obwohl Frankreich die Heimat der traditionellen Krapfen ist, ist ein Kuchen aus Hefeteig und fein passiertem Backpflaumenmus, der optisch an eine Linzer Torte erinnert und unmittelbar vor dem Verzehr mit Puderzucker bestreut wird, untrennbar mit der Karnevalszeit verbunden.


Karnevalsgebäck … ohne Karneval Karneval und Fastenzeit sind bekanntlich ausschließlich in christlich geprägten Teilen der Welt ein Begriff. Die verschiedenen Varianten der entsprechenden kulinarischen Spezialitäten aber finden auf allen Kontinenten großen Anklang und gehören in vielen Kulturen zu den ältesten belegten Gerichten. So gibt es in Indien den Jalebi (auch Zlabia oder Zelabia), der sich bis Madagaskar unter dem Namen Mofo Tantely großer Beliebtheit erfreut: Hier wird ein relativ flüssiger Hefeteig mit Sirup verfeinert und durch die enge Öffnung eines Spritzbeutels oder eines Küchentrichters ins heiße Öl gelassen, in dem es zu knusprigen Spiralen, Schnecken oder „Spaghetti“ gebacken wird. Das fertige Gebäck wird in Indien erneut in ein Bad aus mit Nelken, Zimt, Kardamom sowie Rosenwasser gewürztem Sirup getaucht – auf Madagaskar in Honig.


Jalebi in der Pfanne, indisches Süssgebäck


Auch Spanien kennt mit den Churros, die zusammen mit heißer Schokolade die Grundlage für ein kräftigendes Frühstück darstellen, ein in Öl ausgebackenes Gebäck, das mit jener Selbstverständlichkeit zum Alltag gehört, die in den Vereinigten Staaten dem Donut zukommt. In China ist der Youtiao (油條), der für die Churros übrigens Modell gestanden haben könnte – hier sind sich die Quellen nicht einig, und einige Wege könnten über Portugal nach Nordafrika oder dem Nahen Osten weisen – ein beliebtes Streetfood-Frühstück.




Youtiao frittiertes Süssgebäck


Es gibt also gute Gründe, in diesen Tagen wortwörtlich über den Tellerrand zu schauen und sich von kulinarischen Traditionen aus anderen Teilen der Welt inspirieren zu lassen – auch wenn sie ursprünglich nicht immer mit Fasching, Fasnacht oder Karneval zu tun haben. Verschiedene Interpretationen entdecken, ausprobieren, lernen und genießen … ein reizvolles Programm – wie geschaffen für Übersetzer und Gourmets.



Wussten Sie …

… dass Fettgebackenes bereits im Alten Rom geschätzt wurde? In Apicius‘ berühmtem Buch De re coquinaria ist unter dem Titel „aliter dulcia“ (also „eine weitere Süßigkeit“) das allererste belegte Krapfenrezept der Geschichte zu finden.

… dass die deutsche Entsprechung der Chiacchiere, Faworki und Bugnes, der Raderkuchen, sich im deutschsprachigen Raum nie als Karnevalsgebäck durchsetzte, sondern ein Neujahrsgebäck war?

… dass frühe Formen des Karnevals als buntes Straßentreiben, bei dem alle Schichten der Gesellschaft für eine Woche den gleichen Rang haben sollten, bereits in Mesopotamien vor 5000 Jahren bekannt waren?

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