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Lavendel – ein Füllhorn an Lifestyles



Lavendelfeld



Viele Menschen in aller Welt erfreuen sich an seinem Duft und an seiner Schönheit. Er ist das Sinnbild von Urlaub und romantischen Gärten, von Sonne, Wärme und der Lebensart des Südens. Doch ganz so einstimmig, wie es scheint, fiel das Urteil nicht immer aus, und auch heute sind nicht alle vom Lavendel begeistert. Fest steht aber: Er gehört zu unserem Leben und ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. War es nicht schon immer so?


Alte Damen und junge Ökos

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte Lavendel vielerorts ein Imageproblem – gerade in den Ländern, die damals als Hauptproduzenten galten: Frankreich und England.

Der Duft von Lavendel, sei es in der Wäsche oder als Parfum und Seife, galt schlichtweg als altmodisch, ja altbacken, und wurde in der allgemeinen Vorstellung mit dem Bild von ältlichen, strengen und konservativen, eher unverheirateten Damen assoziiert. Schon der Begriff Lavendel klang nach weißen Spitzentaschentüchern und züchtig mit einer Brosche verschlossenen feinen Hochkragen, nach strengen Dutts und schmalen Lippen, Tee und Scones auf gestickten Deckchen oder Kakao und trockenen Plätzchen in dunklen ungelüfteten Salons, nach Damastvorhängen und vergilbten Tapeten, nach Großmüttern und anderen Damen in ihrem Alter. Dass eine berühmte englische Seifen- und Pflegeproduktmarke für Männer ebenfalls weltweit mit dem Duft von Lavendel spontan in Verbindung gebracht wurde, verstärkte dieses konservative, ein wenig verstaubte und gestrige Image nur noch.




Sticktaschentuch vor Lavendelblüten


Mit den 1970er Jahren und bis in die 1990er hinein, mit dem ersten Erwachen eines Umweltbewusstseins und der Hinwendung zu vergessenen natürlichen Produkten insbesondere im deutschsprachigen Raum wurde es nicht besser. Viele Artikel mit Lavendelöl wurden in Naturkosmetik-Läden oder in kleinen Geschäften neben Batik-Stoffen, Patschuli, Räucherstäbchen, vegetarischen Bratlingspulver-Packungen und Rattantaschen angeboten und wurden daher als erschreckend „öko“ belächelt.


So oder so: Lavendel war einfach das Gegenteil von Sinnlichkeit, und entweder überholt, muffig, verklemmt und hoffnungslos langweilig oder gar„alternativ“.


Lavendel als neue, frische Gemütlichkeit und Kreativität

Inspiriert von Reisen in den Süden und der ansteckenden Leidenschaft seiner Bewohner für dieses besondere Gewächs, angeregt von Fernweh und der Sehnsucht nach Sonne und Wärme entdeckte insbesondere Mitteleuropa den Lavendel neu. Der Lavendel-Topf war ein Weg, sich ein wenig Urlaubsgefühl ins Haus, in den Garten oder auf den Balkon zu holen, und strahlte uns von nun an immer häufiger aus Einrichtungszeitschriften und Dekorationsratgebern an.

Parallel dazu wurde aus dem verschrienen „alternativ“ umweltbewusst und naturverbunden. Aus „altmodisch“ wurde „retro“ oder „zeitlos“, die Rückbesinnung auf alte Werte begann – und mit ihr das Bedürfnis, von der Weisheit früherer Zeiten zu lernen, Großmutters gute Geheimnisse und Haushaltstricks wieder zu beleben, zurück zu den Wurzeln, zum Natürlichen und Ursprünglichen zu finden.

Auf einmal schien Lavendel allgegenwärtig, nicht zuletzt, weil der frische und entspannende Duft Downshifting und Slowlife pur versprach.

Lavendel war ein Fest für die Augen, die Nase, den Gaumen, das ökologische Bewusstsein und die Nachhaltigkeit, die Kreativität, die Gesundheit und die Seele, und die Liebe und Hoffnung, die ihm entgegengebracht wurden, schienen wortwörtlich keine Grenzen mehr zu kennen.




Biene auf einer Lavendelblüte


Lavendel als Garten-Lifestyle: bienenfreundlich, aber ökologisch doch nicht unbedenklich?

Dass Lavendelsträucher im Garten nicht nur ein optischer Gewinn sind, sondern Hummeln und Bienen eine wertvolle Nahrungsquelle bieten, ist unbestritten. Lavendel ist zudem eine ideale Hilfe für den Gärtner, der ohne Einsatz von Chemie Blattläuse von seinen Rosen fernhalten möchte. Er lässt sich in den winzigsten Garten integrieren, kann als Rabattbepflanzung einem grauen Weg eine romantische Anmutung verleihen, ist in Topf und Kübel der perfekte Begleiter für den graphisch-modernen Gartenstil ebenso wie im verträumten Bauerngarten. Er ist zudem pflegeleicht und, genug Sonne vorausgesetzt, sozusagen „mit Erfolgsgarantie“. Dennoch betrachten Umweltverbände etwa in Deutschland, Österreich und Dänemark die verstärkte Bepflanzung mit Lavendel mit einem lachenden und einem kritischen Auge. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine heimische Pflanze, und ihr Angebot kann zum einen andere Arten verdrängen, zum anderen zum Einschleppen neuer Schädlinge und Krankheiten führen, die die ursprüngliche Flora bedrohen könnten. Schließlich müssen Insekten sich an diese neue Ernährungsweise anpassen und verändern, was auch sie für Krankheiten anfälliger machen könnte. Noch scheinen sich diese Bedenken jedoch nicht zu bestätigen.


Allgegenwärtiger Lavendel: kostbares Luxusgut und Massenprodukt zugleich

Duftwasser für die Wäsche, Säckchen für den Kleiderschrank, Parfums, Seifen, Öle für Lampen, Kerzen und Aromatherapie, Grundstoff für Beruhigungsmittel in der Phytotherapie, Koch-, Backzutat und Tee … Die Liste der Produkte, die Lavendel oder Lavendelöl enthalten, wächst jeden Tag. Sie gehören zu unserer Lebensart, und dieses Geschenk der Natur möchten wir nicht missen. Aus dem einstigen Luxusgut, das für die meisten unerschwinglich blieb, ist ein Massenprodukt geworden, das in jeder Drogerie und bei jedem Discounter tausendfach vertreten ist. Ganz ohne Schatten ist dieses Licht in unserem Alltag nicht. Diese hohe Verfügbarkeit zu für alle erschwinglichen Preisen erfordert einen intensiven Anbau über große Flächen, zumal die Ernte nur über einen begrenzten Zeitraum erfolgen kann. Felder, die bisher für die Ernährungslandwirtschaft genutzt wurden und die im Zuge des Klimawandels schwieriger zu bewirtschaften werden, etwa Weizenfelder in Bulgarien, werden zugunsten der gefragten, gut entlohnten und vermeintlich krisensicheren Lavendelölproduktion aufgegeben und umfunktioniert – mit mitunter verheerenden Folgen für die Lebensmittelversorgung. Zudem führt die ertragorientierte Kultur und die Automatisierung vieler Arbeiten in einigen Ländern zu einer deutlichen Verschlechterung der Böden und der Lavendelölqualität, die zunehmend beliebiger zu werden droht.



Bei aller berechtigten Kritik aber ist der Lavendel ein Klassiker, ein Muster an Zuverlässigkeit und Beständigkeit, und er gehört deshalb zum Leben der Menschen weltweit, unabhängig von ihrem kulturellen und sozialen Hintergrund, weil er so vielseitig, so individuell und wandelbar ist wie sie selbst. Er kann sich als Pflanze modern und graphisch, romantisch und elegant, bodenständig und köstlich geben, erfrischend oder betörend sein, alltäglich und außergewöhnlich, selbstverständlich unsichtbar oder demonstrativ präsent, aktuell und nostalgisch. Und all die Produkte, die aus seinem Öl, seinen Blättern und Blüten hergestellt werden, bringen uns für einen kurzen Augenblick oder viele Stunden der Natur näher.




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