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Wort-Geschichten: Revisited



Revisited Schrift auf Entwurf einer Modezeitschrift


Zuweilen nehmen Entwicklungen eine ganz unerwartete Wendung: Alte Streitigkeiten werden beigelegt, und dazu genügt ein einziges Zeichen. So ließe sich die Geschichte eines Wortes zusammenfassen, das immer mehr Einzug in unsere Sprache gefunden hat: „revisited“


Der ewige Kampf um Anglizismen Anglizismen haben nicht den besten Ruf und können schlimmstenfalls sogar Anlass zu Streitgesprächen sein: Ist es sinnvoll, englische Begriffe in eine andere Sprache zu integrieren, weil das Englische nun einmal als universell und universal aufgefasst und betrachtet wird? Spiegelt die zunehmende Internationalisierung unserer Ausdrucksweise nicht schlichtweg den natürlichen Lauf der Dinge und zeugt sie nicht einfach von der Lebendigkeit der Materie „Sprache“, die sich zu allen Zeiten verwandelt und verändert hat? Oder werden die einzelnen Sprachen dadurch im Gegenteil verwässert und verlieren sie so allmählich ihre Identität? Werden vielleicht sogar die Kultur und die Lebensart eines Landes dadurch bedroht? Führt die Übernahme zu vieler Fremdwörter zu einer Einebnung der Denkweisen und zu einem Verlust der Vielfalt? Solche Fragestellungen gehen weit über eine Meinungsverschiedenheit zwischen Textpurismus und Sprachpragmatismus hinaus. Sie abschließend zu klären, ist kaum möglich, beide „Seiten“ können triftige Argumente anführen.

Mehr als nur ein Fremdwort: „revisited“ als allgemeingültiger Inhalt Einige Begriffe aber lassen solche Debatten in den Hintergrund treten und versöhnen geradezu. Ein solches Wort ist „revisited“. Tatsächlich kam es über Umwege in alle Sprachen und ist auch im Englischen in seinem mittlerweile international gefestigten Kontext beinahe ein Neologismus. Ein Blick in ein Wörterbuch aus den 1990er Jahren zeigt, dass es damals lediglich als „noch einmal besuchen“ oder „wieder besuchen“ übersetzt wurde. Erst allmählich entwickelten sich zaghafte Nebenbedeutungen im übertragenen Sinne wie „wiederaufgreifen“, „wiederaufnehmen“, und relativ spät kam der Begriff zu seiner vollen Entfaltung und reifte zu den Bedeutungen „neu beleuchten“ bzw. „neu interpretieren“ und „neu gestalten“ heran. Die bezwingende Kraft einer schönen Sprache

Vielleicht wird „revisited“ deshalb so gern akzeptiert, weil es zum einen in viele Sprachen wörtlich übersetzt werden konnte, ohne an Wert und Inhalt einzubüßen – im Italienischen etwa heißt es „rivisitato“, im Französischen „revisité“ – zum anderen aber auch als englisches Wort aufgrund der lateinischen Wurzel nicht als Fremdkörper empfunden wird. Ein weiterer Grund für seinen Erfolg könnte in den Dingen liegen, die sich in welcher Sprache auch immer, ob in der Übersetzung oder als übernommenes englisches Wort, mit dem Adjektiv „revisited“ schmücken dürfen. Design, Architektur, Kunst, Kulinarik, Mode sind die Bereiche, in denen es immer häufiger zu lesen und zu hören ist, und Designer und Architekten führten es zunächst als festen Bestandteil ihrer Sprache ein, bevor auch insbesondere die Kochkunst es vereinnahmte.


Vor allem aber ist vermutlich die innere Schönheit, die es ausstrahlt, die unbewusste, doch wahre Ursache für seine Beliebtheit: Dass die Neubetrachtung, Neuergründung und Neuinterpretation eines Designs, einer Idee, eines Konzepts, eines Lifestyles als „neu besucht“ oder „neu besichtigt“ bezeichnet wird, birgt in sich eine unglaubliche Poesie voller Assoziationen, die dem Vorgang selbst eine plastische und malerische Dimension verleiht: Der Geist stellt sich vor, wie der Designer, der Architekt, der Chefkoch, der Konditor, der Modeschöpfer durch ein Haus aus Gedanken, Traditionen, Mustern, Düften, Sinneseindrücken wandelt, sie in sich aufnimmt, sie erspürt, sie hinterfragt, sie schließlich in seine persönliche Sprache und in unsere Zeit übersetzt, um sie uns in neuem, einzigartigem Gewand wieder zu schenken.


„Revisited“ ist eine wunderschöne Ausnahme in der Geschichte der Sprache: Es zeigt uns, dass Fremdwörter und Anglizismen insbesondere dann einen wertvollen Beitrag leisten können, wenn sie nicht aus Bequemlichkeit und unreflektiert übernommen werden, sondern durch die Einbringung neuer Ideen und Denkansätze unsere Lebensart bereichern.


Foto: @charlota-blunarova/unsplash



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