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Önotourismus – Weinreisen zwischen Tradition und Innovation


Sonne geht am Horizont eines Weinberges  unter

Foto: Martina Schmid


Wein und Tourismus sind zu allen Zeiten eine symbiotische Beziehung eingegangen. Nichts ist schöner, als eine Reise dazu zu nutzen, neue Weine zu entdecken, zu kosten und als Urlaubssouvenir oder Jahresvorrat zu erwerben. Ebenso gehört es für Weinkenner und Weinliebhaber dazu, zu den mythischen Weingütern zu reisen, ja zu pilgern, die ihnen bereits zu Hause so große Freuden geschenkt haben. Wein und Tourismus, Tourismus und Wein sind seit jeher voneinander nicht zu trennen.


Önotourismus: vom Marketingtrick zum zweiten Standbein

Für Weingüter ist Weintourismus längst nicht mehr nur eine Möglichkeit, ihre Produkte bekannter zu machen und ein Renommee aufzubauen. Seit die wenigen großen, weltberühmten Domänen den Weinmarkt nicht mehr alleine beherrschen und auch kleine Winzer in bis dahin atypischen oder kaum beachteten Weinregionen zunehmende Anerkennung finden, ist der Wettbewerb fast unüberschaubar geworden – und dies trifft prestigereiche und winzige Namen gleichermaßen. Wein im klassischen Sinn wird zudem allgemein in kleineren Mengen genossen, sei es, weil andere Getränke an Ansehen gewonnen haben, sei es, weil die Globalisierung auch den Zugang zu anderen Genüssen wie Sake und Raki eröffnet hat. Zu der rein wirtschaftlichen Situation kommt der Klimawandel hinzu, der neue Anbaugebiete entstehen lässt.

Als Weinbauer zu überleben, ist angesichts dieser vielen Faktoren selbst im oberen Segment immer schwieriger geworden. So wird es dringend, über das Marketing hinaus an neue Geschäftsfelder zu denken, und hier erweist sich die Weinbranche als erfrischend einfalls- und erfolgreich.


Traditioneller Weintourismus: fast schon ein alter Hut

Selbstverständlich sind bisherige weintouristische Angebote nicht vergessen. Die deutsche Weinstraße, die sich durch die Pfalz schlängelt, ist weiterhin ein wunderschönes und beliebtes Urlaubsziel, doch ihr einfach entlangzufolgen, hat schon eher etwas von Sehnsucht nach Erinnerungen, Kultur, Geschichte und Tradition. Bloße Führungen durch Châteaus, Kellereien und Güter muten mitunter ein wenig „verstaubt“ und altbacken an. Önotourismus ist heute aber weit mehr als „nur das“.


Die Kunst der Verkostung als Scharnier zwischen Alt und Neu

Hieß Degustation noch vor einem Jahrzehnt, dass einer Gruppe ermüdeter Touristen in einem kühlen Keller stehend in aller Eile drei Gläser der besten Weine des Hauses zum Probieren angeboten wurde – in der Hoffnung, dass sie mindestens eine Flasche erwerben oder idealerweise einige Kisten bestellen und zu treuen Kunden werden würden –, so sind die Ansprüche in diesem Bereich sehr gestiegen. Kleine und große Domänen bieten Workshops an, die nicht nur Verkaufsveranstaltungen sind. In önologischen Seminaren, die zwischen einem Abend, mehreren Tagen oder sogar einigen Wochen dauern können, werden Gaumen und Nase gezielt geschult, und der Amateur erwirbt durchaus ernstzunehmende Kenntnisse.


Spanien und Japan: Wein-Entdeckungen auf Schienen

Bereits seit längerer Zeit sind Rundreisen in Luxuszügen in Spanien eine willkommene Gelegenheit, Touristen aus aller Welt Weine und Spirituosen näherzubringen. Edle Genüsse aus Rioja und Jerez stehen im Mittelpunkt der berühmten „Kreuzfahrten auf Schienen“ des legendären Al-Andalus, des Transcantábrico Gran Lujo, oder auch im bescheideneren Maße des La Robla Express. In Japan sind in den letzten fünf Jahren immer mehr kleine Zuggesellschaften, die sich angesichts fallender Fahrgastzahlen auf Tourismus- und Event-Züge spezialisiert haben, mit der schier unüberschaubaren Vielzahl lokaler Sake-Produzenten Kooperationen eingegangen und bieten eintägige Ausflüge, bei denen der Charme der vorbeiziehenden Landschaft und die Verkostung der örtlichen Weine zu einem vollkommenen, ganzheitlichen Genusserlebnis führen sollen – eine für Feinschmecker, Betreiber und örtliche Unternehmen gleichermaßen erfreuliche Win-Win-Situation.




Saje Shrein in Japan mit Japanerin

Foto: @wix.com / Sake Barrel Shrine



Kluger Schachzug: Zahlende Erntehelfer ergänzen bezahlte Kräfte

Wer die Welt der Weine besser kennenlernen möchte, kann dies zudem auf andere Art tun und den Weg der Traube in die Flasche nicht nur als lernender Beobachter verfolgen, sondern ihn selbst beschreiten. Weingüter mittlerer Größe insbesondere bieten für den Herbst unterschiedliche Modelle an, etwa Schnupper-Aktionen wie „Winzer für einen Tag“ oder auch „Urlaub im Weinberg“ inklusive täglicher Mitarbeit bei der Weinlese – die önologische Version des Urlaubs auf dem Bauernhof.


Italien: Antike, Mittelalter, Renaissance und mythische Autos

Italien bleibt sich im Önotourismus treu und vertraut auf Grundthemen, die beinahe schon Klischees sind. Weinarchäologie gibt Neugierigen und Geschichtsinteressierten die Gelegenheit, mit römischen Weinrezepturen aus antiker Zeit zu experimentieren. Die Veranstalter vieler mittelalterlichen oder Renaissance-Events wie der Festa Medievale in Monteriggioni oder des Palio di Siena etwa beziehen lokale Weinproduzenten ein, um Touristen auch einen Einblick in traditionelle Weinanbaumethoden zu geben. In der Toskana ist es im Winter möglich, mit einem Fiat 500-Oldtimer durch die Weinberge des Chianti zu rasen und sich ein wenig wie ein Rallye-Fahrer zu fühlen, Kellerführung und Weinshopping schließen das Erlebnis ab.


Frische Ansätze aus Kalifornien

Im Nappa Valley in Kalifornien wurde eine Idee geboren, die mittlerweile in Europa immer häufiger Schule macht. Vinotherapie heißt das Zauberwort, das die gesundheitlichen Vorteile des edlen Getränks auf Kreislauf und Fettstoffwechsel mit dem neuerlichen Wunsch nach Digital Detox verbindet. In Europa nutzen insbesondere kleine und wenig bekannte Weingüter dieses geschäftliche Modell, das dem heutigen Bedürfnis nach maßvollem Genuss, Gesundheit, Ausgeglichenheit und Slow Life Rechnung trägt.

Ebenfalls aus den Vereinigten Staaten wurden zwei weitere originelle weintouristische Winter-Angebote „importiert“, die Weinproduzenten ermöglichen, außerhalb der Arbeitssaison Rentabilität zu erreichen: Familientauglich sind hier Schnitzeljagd-Veranstaltungen, bei denen Eltern und Kinder zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf der Suche nach einem Schatz von Hinweis zu Hinweis die Hänge der Weinberge erkunden. Auch die Generation der jungen Erwachsenen, die sich für den traditionellen Weintourismus möglicherweise wenig begeistern würde, wurde einbezogen: Für sie organisieren Weingüter in ihren Kellern nun Escape-Games, die sich großer Beliebtheit erfreuen und auch für Firmenausflüge und Teambildungs-Workshops gebucht werden.




Picknick auf Französisch: mit Baguette, Camenbert udn Rotwein

Foto: @canva.com



Frankreich: Weinkultur ist Esskultur

Bieten französische Winzer und Châteaus beinahe alles an, was im Önotourismus heute denkbar und möglich ist, so wird neben Originalität und Agilität ein Aspekt jedoch immer wichtiger: Die Verbindung zum Terroir und zu anderen hochwertigen örtlichen landschaftlichen Produkten. Hier scheuen auch die ganz großen Namen die Kooperation mit den ganz kleinen nicht. So ist die berühmte Côte-Rôtie mit der Gemeinde Saint-Romain-en-Gal eine enge Partnerschaft eingegangen und hilft dabei, kleine Produzenten der Grignan-Trüffel zu unterstützen, indem sie sowohl am dortigen Trüffelfest teilnimmt, als auch Proben von Trüffelprodukten bei den eigenen Verkostungen vorstellt.



Winzer und Weingüter haben es wie kaum eine andere Branche verstanden, sich gewinnbringend zu vernetzen und ihre Zielgruppen zu erweitern, indem sie selbstbewusst Leistungen anbieten, die von ihrer Leidenschaft zeugen. Ihr Einfallsreichtum scheint im wörtlichsten Sinn keine Grenzen zu kennen und trägt dazu bei, dass eine neue Weinkultur voller Frische, Internationalität und Dynamik entsteht. Es wird spannend sein, diese Entwicklung des Weintourismus’ weiter zu beobachten.




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