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AutorenbildMartina Schmid

Wort-Geschichten: „Terroir“

Gourmets, Trüffel- und Weinliebhabern aus aller Welt ist das kleine Wort „terroir“ sehr vertraut – auch dann, wenn sie des Französischen nicht mächtig sind.

Tatsächlich handelt es sich um einen faszinierenden Begriff, der seinen internationalen Erfolg einem kleinen Makel verdankt: seiner Vielseitigkeit und Vieldeutigkeit, die sich jeder Übersetzung entzieht.



Kleiner dünner Pilz mit langem Stil auf einem moosigen Waldboden

Foto: Martina Schmid



Ein Wort so ursprünglich wie seine Bedeutung


Dass „terroir“ seine Wurzeln im lateinischen „terra“, Erde, hat, hilft schon ein wenig, ihn zu erfassen. Es geht in erster Linie um den Boden in allen Facetten des Wortes und der Sache: um seine geologische Beschaffenheit, um die Nährstoffe, die den Lebensmitteln und Produkten an einem bestimmten Ort jene geschmacklichen Eigenschaften verleihen, die sie nirgendwo anders haben könnten. Dies setzt natürlich voraus, dass der Boden in seinem ursprünglichsten Zustand belassen wird bzw. so gepflegt wird, dass seine mineralische Zusammensetzung immer so erhalten bleibt, wie sie seit Jahrhunderten besteht.


Das Terroir lebt – ein Begriff entwickelt sich


Entgegen dem geläufigen Glauben wurde „terroir“ nicht zuerst in Bezug auf Wein und edle Pilze verwendet. So lebendig wie der Boden selbst ist auch das Wort. Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts bezog sich „terroir“ auf alle einfachen landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die sich durch ihren regionaltypischen Geschmack auszeichneten: Käse, Salz, Früchte, Honig, sogar Fleisch, im Wald gepflückte Pfifferlinge oder wilde Beeren konnten Ausdruck eines Terroirs sein. In einem zweiten Schritt gesellte sich zu dem Wissen um die Wichtigkeit der Bodenqualität die Überzeugung, dass die Erde allein nicht genüge, um die Unverwechselbarkeit des Geschmacks dieser Produkte zu erklären. Die Luft, die Charaktereigenschaften und gemeinsame Werte der örtlichen Bevölkerung, das Klima, das Wetter, handwerkliche Traditionen und über Jahrtausende überliefertes Know-how … all dies wurde zu einem Teil dessen, was heute unter „terroir“ verstanden wird. Parallel dazu wurde ein Terroir immer kleiner. Es ging nicht mehr um den Makrokosmos einer ganzen Region: Jede Flur, jedes Feld konnte aufgrund seiner Gegebenheiten ein eigenes Terroir bilden. Diese Lesart geht vor allem auf Winzer zurück, und so vereinnahmten nunmehr Weingüter gern den Begriff, zu dessen Entwicklung und Präzisierung sie beigetragen hatten.



Erfolgsmodell Terroir: zwischen Lebensart und Marketing


Dass gerade die erlesenen französischen Weine Wort und Sache für sich entdeckt hatten und erfolgreich in ihre Werbestrategien einbanden, blieb nicht ohne Folgen: „Terroir“ entwickelte sich zu einem internationalen Hype, und vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Sprachen wurde gerade die Rauheit und Ursprünglichkeit eines Wortes zu einem gefeierten Lifestyle-Faktor.

Bedeutet „terroir“ Einzigartigkeit, Charakter, Geschmack und Qualität, so verdankt der Begriff seinen Marketingerfolg – und an dieser Stelle schließt sich der Kreis mit den edelsten Getränken – seiner Komplexität: Er ist die perfekte Balance zwischen Echtheit, Ursprünglichkeit, unverfälschter Naturverbundenheit einerseits und Präzision, Sorgfalt, Feinheit und Erlesenheit andererseits, er verbindet den Respekt vor der Natur und den Respekt vor dem Wissen, Vergangenheit und Zukunft.

„Terroir“ ist mittlerweile allerdings zu einem wirksamen, unerschöpflichen, wenn auch nicht immer unumstrittenen Stilmittel geworden: Es verleiht etwa schlichten und nicht gerade anspruchsvollen Landweinen oder einem durchschnittlichen Honig einen interessanten Touch und bescheidenen landwirtschaftlichen Produkten einen Hauch rätselhafter Magie und Charme.




Der Weg zur Erde: der Boden als Ort der Identität


„Terroir“ suggeriert heute deshalb neben unbestrittenen qualitativen Merkmalen eine idealisierte Rustikalität, vermittelt ein „Zurück zu den Wurzeln“-Gefühl. „Terroir“ ist das, womit eine emotionale Verbindung, eine tiefe Verbundenheit besteht – auch fern der Heimat. Als solches ist das Wort nicht selten ein Sammelsurium aus Erinnerungen, Lokalpatriotismus und mitunter Klischees. Das Terroir ist gleichermaßen ein Ort des Stolzes und der Geborgenheit, der Identifizierung und des Rückzugs.



Dass das Wort „terroir“ nicht einfach übersetzt werden kann und deshalb in den meisten Sprachen übernommen wurde, liegt an der Vielfalt der Gefühle, Eindrücke und Assoziationen, die es birgt: Das Terroir ist für jeden etwas anderes, es spricht jeden auf eine andere Weise an, entfaltet sofort für jeden eine ganz eigene, aber immer kostbare Vorstellungswelt.






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