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AutorenbildMartina Schmid

Kastanien, Maroni oder Maronen?


Maroni auf einem Sack

Foto: Roberto Patti via @unsplash.com



Wie die Welt Esskastanien übersetzt

Mit den ersten kalten Herbsttagen und spätestens, wenn die Weihnachtszeit naht, werden sie wieder zur begehrten Leckerei. Im Supermarkt, im Delikatessengeschäft oder auf dem Wochenmarkt kullern die braunen und glänzenden Früchte mit den verspielten kleinen Haarbüscheln aus großen Jutesäcken kellenweise in unsere Einkaufstaschen; in den Fußgängerzonen und auf Christkindlmärkten locken ihre dunklen Röstaromen an jeder Ecke. Doch wie heißen sie richtig? Maronen? Maroni? Kastanien? Und warum? Unser Magazin klärt heute ein wenig auf.



Deutsch-französische Irrungen und Wirrungen

Für den arglosen französischen Austausch-Schüler, der mit seiner Gastfamilie über den Weihnachtsmarkt oder die Kirmes schlendert, kann es zum Problem werden. Riecht er den vertrauten verführerischen Duft, könnte es sein, dass er dafür schwärmt, wie gern er Kastanien isst. In einem solchen Fall lässt die Reaktion des deutschen Muttersprachlers für gewöhnlich nicht lange auf sich warten: „Du meinst wohl Maroni, also Maronen. Das sind aber Esskastanien, Kastanien kann man nicht essen“. Tatsächlich haben beide Recht … und Unrecht zugleich. Das Missverständnis liegt allein in einer komplizierten Praxis – und an den Schwierigkeiten, die interkulturelle Verständigung manchmal beinhalten kann.

Im Rohzustand bezeichnet das Französische als „marron“ die nachweislich giftige Rosskastanie, die Frucht des „marronier“, also des Aesculus hippocastanum. „Châtaigne“, die Frucht des „châtaigner“ (Castanea sativa) wiederum heißt ausschließlich die Ess- oder Edelkastanie in all ihren Größen und Sorten. Aus „marrons“ und Zahnstochern basteln Kinder lustige Figürchen, „châtaignes“ essen sie in allen möglichen Variationen.

Anders herum hat es der deutsche Austauschschüler etwas leichter. Isst er gern „Maronen“, wird sein Gastgeber spontan vermuten, dass er entweder die zu Weihnachten traditionell zu Pute oder Gans servierten blanchierten oder gekochten Kastanien meint, oder aber dass er bereits der süßen und unvergesslichen Verführung der „marrons glacés“ begegnet ist – denn zubereitet dürfen die Esskastanien je nach Gericht durchaus „marrons“ genannt werden. Einem französischen Muttersprachler würde niemals einfallen, dass jemand versucht sein könnte, einen „marron“, also eine Rosskastanie, zu essen, so dass die genaue botanische Bezeichnung „marron d’Inde“ nicht erforderlich wäre, um in einem solchen Dialog hochgezogenen Augenbrauen vorzubeugen.


Die Spur führt nach Italien - sind die Medici schuld?

Historisch betrachtet waren Esskastanien seit jeher eine Kost der Armen. Sie lagen einfach herum und mussten nur gesammelt werden, erforderten keinen besonderen Anbau und waren auch dann für alle verfügbar, wenn eine Ernte ausfiel oder der Boden nichts hergab. Zudem war es eine vielseitige Frucht (genauer gesagt: Nuss), die noch vor Einführung der Kartoffel und/oder als Getreideersatz kostenlos die Kohlenhydratzufuhr lieferte, die für harte körperliche Arbeit nötig war. Außerdem konnte sie gleichermaßen zu süßen wie deftigen Speisen oder sogar zu Mehl verarbeitet werden. Insbesondere der ärmere Süden des heutigen Europas kannte seit Urzeiten auch die „puré de castañas“, die „soupe de châtaignes“ oder die „farina di castagne“. Die bewusste Kultivierung der Edelkastanie, die ursprünglich aus Kleinasien stammte, begann bereits in der römischen Antike und erlebte in der Renaissance und im Barock ihre Hochzeit. Wenn sie auch weiterhin als Grundnahrungsmittel der arbeitenden Bevölkerungsschichten und als Viehfutter genutzt wurden, so trugen einige Sorten, hauptsächlich aus den italienischen Provinzen, dank aufwändiger Veredelung besonders große und süße Früchte, die auch die Oberschicht zu schätzen wusste. Katharina de Medici etwa führte am französischen Hof kandierte Maronen, eine Spezialität aus dem piemontesischen Cueno, als Delikatesse ein, die so in ganz Europa zu einem festen Begriff wurden und seitdem als eines der erlesensten (und teuersten) Produkte französischer Süßwarenkunst gelten. Der Ausdruck „marron“ wurde dabei direkt aus dem italienischen „marrone“ für „braun“ übernommen, blieb aber vorerst eher den hochwertigeren Sorten und Zubereitungen vorbehalten, die sich in Größe und Geschmack von den alltäglichen Wildkastanien unterschieden. Heute noch wird „marron“ im Französischen ausschließlich für verarbeitete und in für gewöhnlich als feiner empfundenen Gerichten verwendete Edelkastanien gebraucht.


Eroberungsfeldzug eines malerischen Wortes Über Österreich wiederum verbreitete sich parallel dazu von Südtirol aus bis hoch in die deutschen Lande hinein der Ausdruck „Maroni“ als Bezeichnung für die gerösteten Edelkastanien, die damals insbesondere in der Schweiz auf Markt und Straße angeboten wurden und kleinen Gewerbetreibenden und Saisonarbeitern im Winter ein Auskommen ermöglichten. Bald wurde diese bekannteste Form des Esskastanienverzehrs mit der Frucht selbst gleichgesetzt. Die Sehnsucht nach allem Italienischen, die in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts im Wirtschaftswunderland durch alle Gesellschaftsschichten hindurch einen neuen Höhepunkt erlebte, festigte noch diese sprachliche Aneignung. Pikanterweise werden geröstete Esskastanien im Italienischen Caldarroste genannt.



Von False Friends und echten Freunden: kleiner Sprachführer zu Edelkastanien und Maronen

Doch wann spricht man wo von Maronen und wann von Kastanien? Für unsere Leser haben wir eine kleine Liste der wichtigsten Stolperfallen zusammengestellt.



Deutsch

Französisch

Englisch

Italienisch

Spanisch

Edelkastanie - Esskastanie

Châtaigne

chestnut/sweet chestnut

​Castagna

​Castaña / Castaño

blanchierte Maronen

Châtaignes blanchies

blanched chestnuts

​Marroni lessati

​Castañas escaldadas

geröstete Maronen (Maroni)

Châtaignes rôties / châtaignes grillées

​roasted chestnuts

Caldarroste

​Castañas asadas

Pute mit Maronen

Dinde aux marrons/dinde aux châtaignes

french-style roast turkey with chestnuts

​Tacchino con castagne

​Pavo con castañas

Maronenmus

Crème de marrons

chestnut cream

​Mousse di castagne (crema di castagne)

​Compota de castañas (o crema de castañas)

Maronenpuree

Purée de châtaignes (selbst gekocht)

purée de marrons (in der Dose)

​chestnut paste

​Purea di castagne

Puré de castaña (o mus de castañas)​

Kastanienmehl

Farine de châtaignes

chestnut flour

Farina di castagne

​Harina de castañas

Kandierte Maronen

Marrons glacés

marrons glacés/candied chestnuts

​Marroni canditi

​Castañas confitadas

Maronenkuchen

Gâteau aux châtaignes

chestnut cake

​Torta di castagne

​Pastel de castañas

Maronenfüllung

​Farce à la châtaigne

chestnut stuffing

Ripieno di castagne

​Relleno de castañas

Rosskastanie

Marron/marron d’Inde

horse chesnut (br. conker)

Castagna d’India

​Castaña de indias



Maronitörtchen



Wussten Sie übrigens, 

- dass in einigen Regionen West- und Südeuropas das Kastaniensammeln im Herbst in vielen Familien eine feste Tradition bleibt, der das ganze Jahr über entgegengefiebert wird?

- dass Fotos aus dem New York des 19. Jahrhunderts zeigen, wie italienische Einwanderer als Maroni–Verkäufer das Stadtbild bereicherten und wohl zu den ersten Street– und Fingerfood–Anbietern gehörten? 

- dass japanische Zuckerbäcker sich neuerdings mit beachtlichem Erfolg in der Kunst der „marrons glacés“ versuchen und Maronenmus als Gebäckfüllung zuweilen die berühmte rote Bohnenpaste „Anko“ ersetzt?

- dass „marrons glacés“ in Frankreich genau so untrennbar mit den Feiertagen am Jahresende verbunden sind wie das adventliche Plätzchenbacken in Deutschland?

- dass es weltweit über 400 Esskastaniensorten gibt und mindestens 70 von ihnen seit mehr als 700 Jahren bekannt sind?
   



Für alle, die auf den Geschmack gekommen sind: Ein Weihnachtskuchen, bei dem Maronen die Hauptrolle spielen, erwartet Sie HIER.



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