Biscuit - ein unglöstes Rätsel aus fernen Jahrhunderten
- Martina Schmid

- 14. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Nov.

Zuweilen sind es Sprachverwirrungen und Missverständnisse, die charmante Türen zur Geschichte unserer Lebensart aufstoßen – so im Falle von süßen Verführungen:
Wer in New York, London, Paris oder Wien ein Biskuit, Biscuit oder Bisquit bestellt, spricht ähnliche Silben aus, kann aber unliebsame Überraschungen erleben. Denn das, was dort das eine ist, ist es hier noch lange nicht.
Eine Etymologie, die nichts verrät
Zu wissen, dass das Wort Biscuit an sich aus dem Lateinischen bis coctus über das daraus abgeleitete italienische Biscotto zu uns kam, führt uns vor Augen, dass ursprünglich schlichtweg von „zweimal Gebackenem“, also von Zwieback die Rede war. Tatsächlich waren die ersten Biscuits länder- und sprachenübergreifend alles andere als Delikatessen: Bereits im Mittelalter wussten die Menschen aus reinem Weizenmehl, gezielt überalteter Hefe und einer extrem geringen Menge Wasser einen salzfreien zähen Teig herzustellen, der durch einen zweifachen Backvorgang besonders trocken, platzsparend und sehr lange haltbar wurde. Der Schiffszwieback war geboren – und er begleitete Seefahrer von den ersten Expeditionen auf der Suche nach neuen Kontinenten bis zum Ende des zweiten Weltkriegs. In den letzten Jahrzehnten wurden sie in der Marine entbehrlich, da auch auf Kriegsschiffen Bordküchen das Backen von frischem Brot ermöglichen, doch vom Markt verschwunden sind sie nicht: Sie gehörten in der Kolonialzeit, in den Kriegen im Irak und in Afghanistan und bei Spezialkräften zur Grund-Notration im Soldatengepäck und auch im Zivilleben ist ihr Nutzen ein Evergreen: Sie sind in Ländern mit besonderen klimatischen Bedingungen wie Alaska, Nordskandinavien, der Mongolei oder Sibirien, in der Katastrophenhilfe und in den immer beliebteren Prepper-Shops ein Stammprodukt.
Vom Brotersatz zum erlesenen Gebäck – die Blütezeit von Renaissance und Barock
Wie viele kulinarische Entwicklungen, die die Genusswelt europaweit und bald kontinentübergreifend beschenken sollten, kommt auch diese aus Italien und zeugt vom Einfluss der Familie Medici. Die Quellen sind hier umstritten: Manche sprechen von einem Mönch aus dem Umfeld der Medici, andere von einem Hofbäcker, der jedenfalls, möglicherweise um dem Hofe zu gefallen, auf die Idee kam, das Gebäck fluffiger zu machen, hierzu das Eiweiß zu trennen und aufzuschlagen. So entstand das luftige Gebäck, das wir als „Löffelbiskuit“ kennen. Das Wort „Biscuit“ bzw. „Biskuit“ oder „Bisquit“ blieb aber erhalten und bezeichnete von nun an jede Art von relativ trockenem kleinem Gebäck. Ganz schlüssig ist diese Legende nicht, denn es gab schon zu dieser Zeit andere zarte Teigformen und Kuchen, unter anderem Panettone, Mandelkuchen, Krapfen und Baiser, die nicht ohne Trennung von Eigelb und Eiweiß herzustellen gewesen wären. Auch der Zeitpunkt der Entstehung ist schlecht belegt.
Dieses Rätsel wird also vermutlich nie ganz gelöst werden.
Weich oder hart? Ein Länderkaleidoskop
Aus dieser Geschichte ergab sich jedenfalls, dass unterschiedliche Länder sich des Wortes so bemächtigten, wie es ihrer jeweiligen kulturellen Vorstellung entsprach.Obwohl gerade den Medici zu verdanken sein soll, dass aus hartem und relativ geschmacksfreiem Dauerbrot ein kleine Köstlichkeit wurde, blieb Italien in seiner Bezeichnung so starr wie ein Keks: „Biscotti“ sind immer hart, zuweilen sehr hart sogar und müssen wie Cantuccini und Amaretti in Kaffee getunkt werden, um überhaupt genießbar zu werden. Wer weiches Kleinstgebäck haben möchte, muss nach „Biscotti morbidi“ suchen, wörtlich also ausdrücklich nach „weichen Keksen“.
In Großbritannien bezeichnet „Biscuit“ einen kleinen harten und süßen Keks, der oft zum Tee gereicht wird. Zu denken, dass dies für den englischsprachigen Raum gilt, wäre jedoch ein Irrtum. In den USA sind „Biscuits“ manchmal süße und Scone-ähnliche, manchmal geschmacksneutrale Hefebrötchen, die im ersten Fall zum Frühstück und im zweiten als Begleitung von soßenhaltigen deftigen Gerichten gereicht werden.
In Deutschland und Österreich hat das Wort eine lange und umständliche Verwandlung erfahren, was seinen heutigen Gebrauch erklärt: Erst als die französische Lebensart als Symbol von Eleganz und Kultur in der Aufklärung Einzug am Preußischen Hof hielt, wurde „Biscuit“ zu einem alltäglichen Begriff. Bekannt wurde es durch die damals sehr in Mode gekommenen und sinnlich zarten Löffelbiskuits, so dass eine gedankliche Verbindung mit einem besonders luftigen und leichten Teig entstand – und somit zum weichen Biskuitboden. In der Rechtschreibung sollte das Wort noch einige Irrwege erleben: von Biscuit über Bisquit zu Biskuit, wie wir es kennen.
Frankreichs Sonderweg: weich und hart gesellt sich gern
Wie so oft in der Geschichte der internationalen Koch- und Backkunst geht Frankreich eigene Wege – und diese sind sehr verschlungen.Ist „Biscuit“ dem Wörterbuch nach immer Keks, so bedeutet dies nicht, dass das Wort wirklich so verwendet wird. Zum einen werden Kekse im Alltagsgebrauch am seltensten wirklich so genannt: „Petits gâteaux“ oder „gâteaux secs“ sind wesentlich häufiger zu hören. „Biscuit“ in diesem Zusammenhang zu sagen, gilt schon seit dem 19. Jahrhundert als affektiert, dandyhaft, preziös, als Pose, bestenfalls als veraltend und schulmeisterlich. Lediglich in drei Fällen ist das Wort noch wirklich angemessen: „Biscuits à la cuiller“, also Löffelbiskuits in ihrer weichen frischen Form, „Biscuits Champagne“, auch „Biscuits boudoir“ genannt, harte industrielle Löffelbiskuits mit Kristallzuckerkruste, die nur eingeweicht – ob als Zutat für Tiramisu und Charlotten oder tatsächlich in süßen Weinen, Sekt oder Kaffee getunkt – genießbar sind, oder aber im Falle der berühmten „Biscuits roses de Reims“, deren geschützte Rezeptur und unendlich elegante Farbe und Form im 17. Jahrhundert eigens entwickelt wurde, um als Begleitung zu Champagner zu dienen. Sie sind die einzigen, die heute noch tatsächlich zweimal gebacken werden und werden von vielen Franzosen als Nationaldenkmal in Sachen Pâtisserie-Kultur und Feingeschmack betrachtet.Ebenso wird der Begriff nach wie vor akzeptiert, wenn er mit einem berühmten Markennamen assoziiert wird: „biscuits“ + Name einer berühmten belgischen oder deutschen Keksmarke etwa. Eine andere Verwendung betrifft ganze Kuchen – allerdings nicht als Generikum, sondern nur in bestimmten Zusammenhängen. So ist der „Gâteau de Savoie“ dann ein „Biscuit de Savoie“, wenn die Teigkonsistenz gemeint ist und jeder andere ähnliche Teig für das jeweilige Rezept eingesetzt werden dürfte. Biskuitboden heißt hier übrigens hingegen interessanterweise „Génoise“.
Die Reise durch die Geschichte des Wortes „Biscuit“, ob in seiner französischen, internationalen oder deutschen Schreibung, zeigt eindrucksvoll, wie Lebensarten, Kultur und Sprache interagieren, einander bereichern, aber auch wie Anlehnung und Aneignung Wirklichkeiten aus fernen Zeiten und Ländern unsere festen Vorstellungen beeinflussen. Und so wird ein kleiner backgeschichtlicher Abriss zur Entdeckung anderer Genuss- und Denkwelten, unserer tiefsten Assoziationen und Wunschbilder.
Wussten Sie,
… dass im Italienischen Löffelbiskuit „Savoiardo“ heißt, aber Gâteau de Savoie im Französischen nur ein sehr einfacher Rührkuchen ist, der im Gegensatz zur edlen Génoise als „Alltagskuchen“ betrachtet wird?
… dass das insbesondere für Figuren und Ziergegenstände verwendete unglasierte Porzellan „Biskuitporzellan“ genannt wird, weil es nur zweimal gebrannt







